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Archiv-Artikel

Referendum birgt Zündstoff

Mit der morgigen Abstimmung über Verfassungsänderungen will Kirgisistans Präsident die Krise entschärfen. Doch die Opposition fühlt sich betrogen und ruft zum Boykott auf

Geberkonferenz lobte Kirgisistans Regierung für ihre demokratischen Reformen

TASCHKENT taz ■ Das morgige Verfassungsreferendum, das ursprünglich dazu gedacht war, die Gemüter in Kirgisistan etwas zu beruhigen, ist zu einem Anlass geworden, der die Emotionen überschäumen lässt. Als Askar Akajew, der Präsident des kleinen zentralasiatischen Landes von 5 Millionen Einwohnern, im vergangenen August eine Verfassungskommission einsetzte, wollte er sich damit eine Atempause verschaffen. Im vergangenen Jahr war kaum eine Woche vergangenen, in der nicht irgendwo im Süden des Landes, wo die Ablehnung gegen den Staatschef besonders groß ist, eine Demonstration stattfand. Und die sonst zerstrittene Opposition hatte sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, das Akajews Rücktritt forderte.

Die Leute gegen sich aufgebracht hatte Akajew vor allem durch ein Grenzabkommen mit China. Seine Kritiker behaupten, dass es dem großen Nachbarn 95.000 Hektar umstrittenen Gebietes zuspricht. Im März schoss die Polizei auf eine friedliche Demonstration im südlichen Aksy.

Dabei wurden fünf Demonstranten getötet und über 60 verletzt. Sie hatten gegen die Festnahme von Azimbek Beknazarow demonstriert, jenem Abgeordneten, der den Protest gegen das Grenzabkommen anführte. Seitdem forderte die Protestbewegung die Verurteilung der für die für die Gewalt in Aksy Verantwortlichen, und am Ende drohten einige radikale Politiker sogar mit der Unabhängigkeitserklärung dreier Bezirke im Süden. Die Politik war vollständig blockiert.

Deshalb berief Präsident Akajew im August Mitglieder von Opposition und Menschenrechtsgruppen in eine Kommission. Sie sollte die Verfassung so reformieren, dass der Präsident einige seiner weit reichenden Vollmachten verliert. So konnte Akajew im September in Ruhe zum Staatsbesuch in die USA fliegen – neben Usbekistan ist Kirgisistan das zweite Land der früheren Sowjetunion, in dem US-Truppen stationiert sind –, und im Monat darauf eine Geberkonferenz in seinem Land ausrichten. Sie lobte die kirgisische Regierung für ihre demokratischen Reformen und sagte ihr 700 Millionen US-Dollar Finanzhilfe zu.

Anfang Januar jedoch ersetzte Akajew die Kommission durch eine Expertengruppe aus Regierungsmitgliedern. Sie sollte die Reformvorschläge nur in eine juristisch eindeutige Form bringen, ließ Akajew nach Protesten ausrichten. Als jedoch der Termin für das Referendum über die Verfassungsänderungen auf den 2. Februar festgelegt war und der neue Text öffentlich wurde, fand sich darin die Bestimmung, dass Präsidenten und ihre Angehörigen nach dem Rücktritt Immunität vor Strafverfolgung genießen und der Präsident mit einem Veto alle Gesetzesinitiativen des Parlaments blockieren kann.

Nach einem Aufschrei in den unabhängigen Medien wurden die zwei umstrittenen Klauseln wieder fallen gelassen, aber ein Bündnis aus elf Oppositionsparteinen und sieben Nichtregierungsorganisationen kritisiert, der neue Entwurf habe mit dem von der Kommission erarbeiteten nichts mehr gemein.

Besonders eine Klausel, wonach öffentliche Versammlungen „nur nach Benachrichtigung der Organe der Exekutivmacht“ stattfinden können, und nicht „die Rechte und Freiheiten anderer Personen verletzen dürfen“, erregt ihren Unmut. Diese Bestimmung, glaubt das Bündnis, sei speziell deshalb in die Verfassung aufgenommen worden, um künftig gegen Demonstrationen vorgehen zu können.

Deshalb ruft das Oppositionsbündnis seine Anhänger auf, das Referendum zu boykottieren oder zumindest dagegen zu stimmen. Dass es jedoch durchfallen wird, gilt als unwahrscheinlich. Denn der Volksentscheid gilt bereits als angenommen, wenn nur die Hälfte aller Wahlberichtigten teilnimmt und 50 Prozent mit „Ja“ stimmen. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass das Referendum die politischen Wogen glätten könnte. Spätestens wenn es wärmer wird, dürften die demonstrationsfreudigen Kirgisen wieder munter werden. PETER BÖHM