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: Die ganz große Koalition

Diese Wahl hat weder Gerhard Bökel noch Sigmar Gabriel verloren, sondern Gerhard Schröder. Es ist ein Votum gegen Rot-Grün in Berlin – und ein, zumindest in diesem Ausmaß, selbst verschuldetes Desaster. Gewiss, regieren in Zeiten des Mangels ist ein undankbares Geschäft. Wer die Sozialsysteme reformiert und den Wählern somit allerlei zumutet, wird dafür in aller Regel bestraft. Wer diese Reform für überflüssig und unsozial erklärt, dem geht es auch nicht anders. In dieser Falle stecken fast alle europäischen Regierungen.

Kommentar von STEFAN REINECKE

Diese Mechanik prägt das Auf und Ab der Parteien. Sie beschert uns das Phänomen andauernder Protestwahlen – zum Glück bislang ohne populistische Krisengewinnler. Doch die Heftigkeit des SPD-Debakels ist damit noch längst nicht erklärt. Denn die Schröder-SPD hat sich in komplizierter Lage weggeduckt. Anstatt klar zu machen, warum es derzeit leider nicht anders geht, hat sie die Steuern und die Lohnnebenkosten durch die Hintertür erhöht. Erst hat Schröder mit den Gewerkschaften fraternisiert, dann Wolfgang Clement eine Reform- und Zumutungsrhetorik entfalten lassen, die scharf nach FDP klingt. Die SPD hat versucht, nicht angreifbar zu sein – und damit alle gegen sich aufgebracht. Schröder hat nicht nur verloren; er hat auch aus dem schlechtesten aller Gründe verloren: Unentschlossenheit.

Roland Kochs absolute Mehrheit im einst roten Hessen zeigt zudem, dass es nicht nur um eine Stimmungswahl, nicht nur um eine temporäre Baisse geht. Die angestammten Parteimilieus lösen sich auf – und das scheint bei der den Sozialdemokraten stärker und schneller zu geschehen als bei der Union.

Liest man die Ergebnisse von Hannover und Wiesbaden zusammen mit der Bundestagswahl, dann erkennt man eine weitere Botschaft: den Zwang zum Konsens. Denn nun müssen SPD und Union via Bundesrat und Vermittlungsausschuss faktisch zusammen regieren. Schröder wird, wohl oder übel, ein mit sozialdemokratischer Rhetorik umranktes Programm zum Um- und Abbau des Sozialstaats auf den Weg bringen.

Die Wähler haben für die Union votiert – aber, bewusst oder unbewusst, das Wunschzentrum bundesrepublikanischer Politik gestärkt: die mittlere Mitte. Zusammenrücken angesichts der Krise – das ist eine Botschaft dieser Wahl. Ab heute wird die Republik von einer ganz großen Koalition regiert, mit Joschka Fischer als Außenminister. Das hat eine eigene Rationalität. Aber es ist auch ein bisschen kitschig.