: Und ewig lockt das Wasser
„Waterfront“-Projekte erleben weltweit einen Boom. Bremen und Danzig wollen ihre Erfahrungen mit der Revitalisierung brach liegender Werft- und Hafenareale bilateral austauschen, in Hamburg wird heute lieber mit Partnern aus Übersee diskutiert
Zwei Tage nach dem Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) veranstaltet auch die Hamburger Hafencity Universität (HCU) eine Tagung zu „Waterfront-Projekten“. Heute und morgen treffen sich internationale ExpertInnen aus konversions-orientierten Hafenstädten, um – auf englisch – „The Fixity and Flow of Urban Waterfronts“ zu diskutieren. Mit der eigenen Waterfront hat die HCU, 2006 als Fusion baubezogener Studiengänge der Hamburger Hochschulen gegründet, allerdings noch Schwierigkeiten: Der für Anfang kommenden Jahres geplante Baubeginn am Magdeburger Hafen verzögert sich, da das mittlere „p“ der mit 60 Millionen Euro geplante „Public/private Partnership“ noch zu klein geschrieben wird. An der Tagung Interessierte müssen daher zum Kontorhaus am Billerhafen, Brandshofer Deich 114, wo um 9 Uhr das Programm beginnt. Informationen: www.hcu-hamburg.de. HB
VON HENNING BLEYL
Hafenstädte sind bekanntlich Diven. Schon zu Zeiten der gern mystifizierten Hanse war es an der Tagesordnung, sich gegenseitig aus dem Handelsbündnis rausschmeißen zu wollen – eine latent intrigante Haltung, die sich durch alle Strukturkrisen hindurch gerettet hat. Und so ist auch heute nicht nur rationalen Kriterien unterworfen, wer mit wem beim Erfahrungsaustausch über die Umnutzung nicht mehr benötigter Hafen- und Werftareale zusammen arbeitet.
Hamburg kooperierte diesbezüglich eine Zeit lang mit Gdánsk, vermied jedoch den allzu engen Austausch mit dem benachbarten Bremen. Das ist insofern bemerkenswert, als sich der aktuelle Bremer Senatsbaudirektor ebenso wie sein Vorgänger die planerischen Meriten beim Entwickeln der Hamburger Hafencity erworben hat. Die heute in Hamburg beginnende „Waterfront“-Konferenz kommt jedenfalls ohne Bremer Beteiligung aus, obwohl dort mit der „Überseestadt“ ein fast dreimal so großes Areal wie in Hamburg entwickelt wird.
„Da gibt es vornehme Zurückhaltung“, sagt ein Insider. Während von der Elbe aus Bremen allzu provinziell erscheine, wolle man umgekehrt an der Weser „den Hamburgern nicht immer hinterher hecheln“. Dirk Schubert, Organisator der Hamburger Konkurrenz, sagt es nüchterner: Der im akademischen Rahmen übliche „Call of Papers“, auf den hin man sich um die Teilnahme bewirbt, sei in Bremen ungehört verhallt.
Für ihre polnischen Brüder und Schwestern interessieren sich die Hamburger kaum noch. Bremen dagegen hat vor zwei Tagen eine Tagung auf die Beine gestellt, die die „Revitalisierung postindustrieller Areale“ im direkten Vergleich Gdánsk-Bremen thematisiert. Was also passiert an der Mottlau? Dort hat ein Konsortium, hinter dem ursprünglich vor allem Bostoner Geschäftsleute standen, die Hälfte der früheren Leninwerft gekauft – berühmt durch die „Solidarność“-Gründung, mittlerweile jedoch von 18.000 auf 3.000 Beschäftigte geschrumpft. Die Fläche, auf der nun eine „Mlode Miasto“ beziehungweise „Young City“, entstehen soll, entspricht mit gut 70 Hektar wiederum in etwa der Hamburger Hafencity – nur, dass sich im Unterschied zur Elbe an der Mottlau noch kein einziger Bagger bewegt hat. Derweil sind die Bostoner wieder ausgestiegen und haben das Feld dänischen Immobilienhändlern überlassen.
Was bleibt von der „Mlode Miasto“? Zunächst ein großformatiger Masterplan, der schwungvolle Straßenzüge skizziert: Eine „Road to Freedom“, eine „Promenade of Joy“ und die „Wallstreet“. Letztere zeugt allerdings keineswegs von Größenwahn, sondern bezieht sich auf die „Wallstraße“ im früher deutsch besiedelten Danzig. In planerischer Hinsicht sei diese „Wallstreet“ jedoch ein Desaster, sagt Gabriela Rembarz von der „Politechnika Gdánska“. Die vierspurig geplante Straße zerschneide erbarmungslos das zu entwickelnde Gebiet, mangels Bäumen oder Flanierflächen sei auch keinerlei Boulevard-Charakter erkennbar: „Das zerstört von vornherein jedwede Quartiersentwicklung.“
Was in Gdánsks „Young City“ die Straßenschneise ist, heißt in Bremen „Frischemarkt“: Ein Pfropf, der die Entwicklung behindert. Die Ansiedlung des Gemüse- und Obstlogistikzentrums, das frühmorgens von einer LKW-Armada angefahren wird, war unverzichtbar für die Erschließung des Areals. So viel Straße und Kanalisation hätte die öffentliche Hand wohl nicht finanziert, wenn es nur um ein paar Kreativfirmen gegangen wäre.
Das immerhin markiert einen Unterschied zur Gdánsker Problemstellung: Hier hofft die Kommune inständig, die Investoren mögen die Verkehrsachse auf eigene Rechnung bauen – und will sich mit städtebaulichen Vorgaben gar nicht erst unbeliebt machen. „Wir sind sehr unglücklich über diese Entwicklung“ , sagt die Architekturprofessorin Lucyna Nyka. „Die Stadt nimmt die Revitalisierungsplanung nicht wirklich in die Hand.“
Vergleichbar ist in Gdánsk und Bremen die Funktion, die den KünstlerInnen bei der Erschließung zugewiesen wird. Als temporäre Zwischennutzer sollen sie das Areal vermittels öffentlichkeitswirksamer Aktionen und Ausstellungen im städtischen Bewusstsein verankern. Das ist auch dringend notwendig. Das Gebiet der Bremer Überseestadt war als Freihandelszone mit einem Zollzaun umgeben, die Gdánsker Werft ist bis heute mit zwar arg verrostetem, aber streng kontrollierten Maschendraht abgeschottet.
Umso angezeigter schien es den dortigen Investoren, Leben in die Werksbaracken zu bringen. Sie warben sehr aktiv um Atelier-interessierte KünstlerInnen, die ihre Miete zunächst in Kunst bezahlen durften. Dass die Kreativlinge in ihren Werkstätten zumeist auch wohnen, wird stillschweigend akzeptiert. Zwar müssen sich BesucherInnen der regelmäßigen „Wernisaze“ schriftlich anmelden – der Werkschutz führt eine akribische Gästliste –, aber das ist im Mailzeitalter kein größeres Problem. So entstand eine regelrechte „Kolonia Artystów“.
Die freilich bleibt den weltweit üblichen Funktionszusammenhängen unterworfen. Ist eine Industriebrache erstmal „urbar“ gemacht, frisst die folgende Urbanisierung ihre Vorboten. Weil auf dem Gelände der Werft-Telefonzentrale, wo ein Großteil der rund 60 KünstlerInnen haust, nun doch mal ein Hypermarkt entstehen soll, wurde den „Kolonisten“ gekündigt. Die Stadt habe ihnen ein leer stehendes Gebäude außerhalb der Werft angeboten, berichtet Architektin Rembarz. Das allerdings liege weit außerhalb und sei zudem mit der Auflage verbunden, eigene finanzielle Mittel zu investieren.
Diesbezüglich werden der Bremer Kreativszene weit komfortablere Bedingungen geboten. Der gewaltige Baumwollspeicher, in dem ein großer Teil der hiesigen Kunsthochschule untergebracht wurde, ist bestens saniert. Auch andere historische Bauten wie die frühere Feuerwache bieten Design-Büros schicke und von keiner Abrissbirne bedrohte Arbeitsplätze.
Was sagt das über das Verhältnis zwischen Hamburg, Bremen und Gdánsk? Gemessen an Rotterdam und anderen Dockland-Konvertierern ist Hamburg ein – allerdings zügig agierender – Latecomer. In Bremen ist ein eher geruhsamer Prozess zu beobachten, Gdánsk liegt weitere zehn Jahre zurück – was den Erfahrungsaustausch umso ertragreicher machen würde.