: Kleines Glück im Desaster
Jahresbericht der russischen Atombehörde von NGO Ecodefense ausgewertet: Weniger Atommüll als geplant importiert, Plutonium unverändert, Reaktoren nicht ersetzt. Waffentaugliches Uran wird nach wie vor aus Staatsanlagen gestohlen
von BARBARA KERNECK
Russische Umweltschützer gehören zu den sorgenbeladensten der Welt. Doch in einer Hinsicht haben sie Glück: Ihr Atomministerium (Minatom) ist das denkbar ineffektivste. Dies geht aus dem jetzt in Moskau veröffentlichten Jahresbericht der Organisation Ecodefense hervor.
Mit viel Brimborium war 2001 ein Gesetz verabschiedet worden, das den Import ausländischer radioaktiver Abfälle in Russland erlaubt. Bisher aber hat Atomminister Rumjanzew noch kaum ein Land gefunden, das ihm solchen Müll verkauft. Einzige mögliche Ausnahme: Während der letzten Visite des ungarischen Ministerpräsidenten in Moskau soll ein entsprechender Vertrag zustande gekommen sein. Im gleichen Monat schraubte aber Rumjanzew gegenüber der Tageszeitung Kommersant die prognostizierten Einnahmen Russlands aus solchen Importen von bisher 20 Milliarden Dollar auf 5 Milliarden herunter. Dazu Rumjanzew: „Neue Verträge, auch über verbrauchten atomaren Brennstoff, sind in den nächsten paar Jahren nicht zu erwarten.“
Erfüllt hat das Minatom seine Auslandsverpflichtungen in Bezug auf den Bau neuer Reaktoren in China, Indien und dem Iran. Diese dürften dem russischen Staat aber kaum Gewinne einbringen. In den 90er-Jahren subventionierte Russland selbst die Bauvorhaben in China und Indien mit insgesamt 5 Milliarden Dollar an Krediten.
Dafür hat Russland einen im Jahre 2000 mit den USA geschlossenen Vertrag über die Nutzbarmachung von 68 Tonnen waffentauglichen Plutoniums für stromliefernde Reaktoren nicht erfüllt. Den Abrüstungsinspektoren aus den USA wurde nach bester Schurkenstaaten-Tradition der Zugang zu entsprechenden atomaren Anlagen verwehrt. Die Moskauer Umweltexperten halten den Vertrag allerdings ohnehin für unsinnig. Nicht zuletzt deshalb, weil Russland schon mehr reaktortaugliches Plutonium lagert, als es gebrauchen kann.
In der Atomanlage Krasnojarsk 26 sollen zwei solcher Plutoniumreaktoren in unmittelbarer Zukunft geschlossen und durch ein Wärmekraftwerk ersetzt werden. Ein Besuch von Ökoaktivisten auf dessen Baustelle im Sommer 2002 ergab, dass dort schon seit einem Jahr niemand einen Finger gerührt hatte. Das Ministerium sabotiert offenbar seinen eigenen Bau, um eine längere Lebensdauer für die Reaktoren herauszuschinden.
Nach wie vor werden in den russischen Atomanlagen nukleare Materialien geklaut, auch waffentaugliches Uran. Dies berichtete im Herbst die staatliche Atominspektion Gosatomnadsor. Auf dem Gelände einer Waffenplutonium-Fabrik in Krasnojarsk 26 ging Anfang 2002 eine Gruppe von Journalisten mit Filmkameras uneingeladen spazieren. Um die Sicherheitsmaßnahmen zu testen, stellte der Geheimdienst FSB dort später eine Bombenattrappe auf – die ruhig liegen blieb: Wer sich dem Objekt bis auf ein paar Meter nähern will, muss zwischen 3 und 25 Dollar zahlen.