: Viel Rauch, kein Colt
Die Erwartungen an den Auftritt Powells im Sicherheitsrat sind groß. Vorsorglich lässt er deshalb Gerüchte über zurückgehaltene Informationen streuen
aus New York ANDREAS ZUMACH
„So wie Adlai Stevenson während der Kubakrise im Oktober 1962.“ An den legendären Auftritt des damaligen amerikanischen UNO-Botschafters vor der Generalversammlung erinnern in der New Yorker UNO-Zentrale viele Gesprächspartner im Vorfeld des morgigen Auftritts von US-Außenminister Colin Powell vor dem Sicherheitsrat zum Thema Irak. Stevenson präsentierte seinerzeit tatsächlich den „rauchenden Colt“ – eindeutige Fotos sowjetischer Raketen auf Kuba. Damit war Moskau vor der Weltöffentlichkeit der Lüge überführt.
An einen ähnlichen UNO-Auftritt Stevensons mit weit weniger Wahrheitsgehalt erinnert sich heute außer dem CIA-Agenten, der dem Botschafter damals die „Beweise“ übergab, kaum jemand mehr. Zur Rechtfertigung der von Präsident Kennedy angeordneten Invasion in der kubanischen Schweinebucht – Ziel war ein Regimewechsel in Havanna – legte Stevenson dem Sicherheitsrat Fotos angeblicher kubanischer Kampfflugzeuge vor. Tatsächlich handelte es sich um US-Flugzeuge auf einer Luftwaffenbasis in Florida. Der Betrug flog auf. Stevenson warf dem CIA-Agenten vor, ihn reingelegt zu haben. Der Agent, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, verließ die Agency Anfang der 80er-Jahre „aus Protest gegen die zahlreichen Fälschungen und Betrugsmanöver“, wie er der taz gestern erklärte.
Welchem der beiden Auftritte Stevensons wird der morgige Auftritts Powells ähneln? Einen „rauchenden Colt“ wird der US-Außenminister mit Sicherheit nicht präsentieren. Entsprechende Erwartungen hatte Präsident Bush vor einer Woche in seiner „State of the Union“-Rede geschürt mit der Ankündigung, Powell werde dem Sicherheitsrat „unumstößliche Beweise“ für schwerwiegende Verstöße Iraks gegen die UNO-Resolution 1441 vorlegen. Zahlreiche Regierungsvertreter haben sich seitdem bemüht, diese Erwartung zu dämpfen – zuletzt am Sonntag Powells für politische Planung zuständiger Stellvertreter Richard Haass. Der Außenminister werde „Indizien präsentieren“, „bisherige Erkenntnislücken füllen“ sowie bereits bekannte Belege für irakische Verstöße mit Hilfe von Bildern und Dokumenten oder Abhörprotokollen untermauern – mit solchen eher vorsichtigen Formulierungen wird die Öffentlichkeit inzwischen auf den Auftritt Powells vorbereitet. Seit Tagen berichten die Medien unter Berufung auf Informanten aus der Administration, dass CIA und FBI rund um die Uhr damit beschäftigt seien, die „umfangreichen Geheimdiensterkenntnisse über Irak zu sichten und zu entscheiden, welche Informationen und Unterlagen für die öffentliche Präsentation durch Powell freigegeben werden sollen“.
Auf diese Weise wird quasi schon vorbeugend für den Fall eines möglicherweise nicht überzeugenden Auftritts Powells der Eindruck erweckt, sie habe auf jeden Fall noch mehr in der Hinterhand. Hat sie das wirklich? Aus den Reihen von FBI und CIA, aber auch aus dem State Department melden sich zunehmend Stimmen, die kritisieren, die politische Führung präsentiere der Öffentlichkeit Indizien und Verdachtsmomente als handfeste Beweise, um einen Krieg gegen Irak zu rechtfertigen.
Was immer Powell dem Sicherheitsrat morgen den Ausßenministern und Botschaftern der anderen 14 Ratsmitglieder präsentieren wird: Diese dürften – mit Ausnahme des britischen Außenministers Jack Straw –kaum in der Lage sein, die Beweiskraft und Stichhaltigkeit der Powell’schen Vorgaben zu beurteilen. Denn neben der Bush-Administration und der Regierung Blair verfügt keine andere Regierung über irgendwelche, aus eigenständiger Aufklärung gewonnene Erkenntnisse der eigenen Geheimdienste über irakische Massenvernichtungswaffen und ballistische Raketen.
Auch der Bundesnachrichtendienst hat – entgegen ander lautenden Berichten der letzten Tage – keine derartigen Erkenntnisse. Die Waffeninspektoren erhielten relevante Hinweise lediglich ausWashington und London. Hinweise, die sich, soweit sie bislang überprüft werden konnten, nicht bestätigten. Wie Bundesaußenminister Joschka Fischer und die Vertreter der anderen Ratsstaaten unter diesen Umständen morgen in ihren zehnminütigen Stellungnahmen qualifiziert auf die Präsentation Powells reagieren sollen, ist ein Rätsel.