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Archiv-Artikel

Schwerter zu Tonarmen

Das alte Europa am Plattenteller: Selbst die als unpolitisch verschriene Rave-Szene mobilisiert gegen den Irakkrieg. Mit einer Benefiz-Party im polar.tv demonstrieren Berliner DJs wie Miss Kittin oder WestBam für ein bisschen Frieden

Das „alte Europa“, von dem der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in diesen Tagen zu sprechen pflegt, findet Unterstützung unter den jungen Berlinern. Selbst die sonst als unpolitisch und konsumorientiert verschriene Club- und Rave-Szene mobilisiert gegen den drohenden Irakkrieg.

Noch bevor es in Berlin größere Kundgebungen der Friedensbewegung gegeben hat, findet in dem Club polar.tv eine Antikriegsparty statt, bei der sich so ungefähr alles den Tonabnehmer in die Hand gibt, was in der Technoszene der Stadt Rang und Namen hat: Außer dem notorischen Love-Parade-Peacenick Dr. Motte stehen unter anderem Marusha, Afrika Islam, Gudrun Gut und Märtini Brös an den Plattentellern. Weil sich so viele Diskjockeys an der Veranstaltung beteiligen wollen, wird nun jeder voraussichtlich nur eine gute halbe Stunde Zeit zum Auflegen haben. Alle Künstler treten ohne Gage auf. Der Eintritt ist frei, die Einnahmen aus dem Getränkeverkauf gehen an ein medizinisch-psychologisches Hilfsprojekt im Gaza-Streifen, das von „Ärzte ohne Grenzen“ betrieben wird. Die Hilfsorganisation, die 1999 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, wird auch mit einem Infostand vertreten sein und Spenden sammeln.

Organisiert wird die Party „Schwerter zu Zapfhähnen“ von dem Berliner DJ Rok, der seit über zehn Jahren regelmäßig im Tresor auflegt, und dem Fotografen Thomas Ecke, „weil die Linke in Berlin zurzeit noch zu schlafen scheint und nicht gegen den Irakkrieg mobilisiert“. Die direkte Tuchfühlung mit der Berliner Linken suchen sie aber nicht: „Wir haben zuerst überlegt, auch Christian Ströbele oder jemand von Attac einzuladen, aber dann wollten wir unsere Veranstaltung nicht politisch entgleiten lassen“, sagt Organisator Thomas Ecke. So werden nun einige der DJs zu Wort kommen; Tyree Cooper und Afrika Islam haben ausdrücklich um ein Mikrofon gebeten, um während ihres Sets ein Statement abzugeben.

Interessanterweise sind es ausgerechnet die beiden Amerikaner, die sich ausdrücklich politisch äußern wollen: Afrika Islam, der heute unter dem Pseudonym Mr. X and Mr. Y zusammen mit Westbam auftritt, war in den 70er- und 80er-Jahren als Tänzer und MC bei der Breakdance-Gruppe Rock Steady Crew, bevor er unter der Anleitung von Hip-Hop-Altmeister Africa Bambaataa als DJ und Produzent zu arbeiten begann. Tyree Cooper, der Produzent von den Hip-House-Hits „Turn up the bass“ und „Yo Yo Get Funky“, gehörte zu den DJs, die in den 80er-Jahren in Chicago House erfunden und geprägt haben. Beide sind inzwischen aus den USA in das Techno-Mekka Berlin gezogen.

„Elektronische Musik ist völkerverbindend. Bei Raves gibt es keine Ausländerfeindlichkeit, sondern es geht um eine bessere Zukunft“, glaubt Thomas Ecke, der im vergangenen Jahr vor den Bundestagswahlen bereits eineAnti-Stoiber-Party im Club Sternradio organisiert hat. Eine umfassende Politisierung der Partyszene erwartet er zwar nicht, aber als gänzlich unpolitsch sollte man die Clubkids seiner Ansicht nach auch nicht abtun: „Als ich Flyer vor dem Tresor verteilt habe, habe ich gemerkt, dass die ein ausgeprägtes gesellschaftspolitisches Bewusstsein haben.“ Auch alle angesprochenen DJs hätten umgehend zugesagt, bei der Veranstaltung aufzulegen, auch wenn sie im Ausland kontaktiert werden mussten – so wie Miss Kittin in Rio oder Westbam in der Karibik.

Thomas Ecke: „Ich bin mir nicht sicher, ob DJs für Clubbesucher auch Vorbilder sind. Aber ich glaube schon, dass sie die Leute zum Nachdenken anregen können.“ TILMAN BAUMGÄRTEL

„Critical Friends: Not on our planet“ heute ab 22 Uhr im Polar.tv, Heidestraße 73, Tiergarten, u. a. mit den DJs Miss Kittin, Mijk von Dijk, Rok, Tina 303, Tyree Cooper, Westbam