: Forschendes Interesse
Das interdisziplinäre Kunstfestival „Wir nennen es Hamburg“ will bis Anfang des nächsten Jahres auf Kampnagel und im Kunstverein die verschiedenen Künste dieser Stadt zusammenbringen. Heute wird es eröffnet
Die Kunst sollte nach den romantischen wie den revolutionären Ideen ein großes Reich schöner und nützlicher Utopien sein. Tatsächlich aber haben sich viele Fachsparten mit je eigenen Regeln herausgebildet. Das ist nicht nur dem Publikum oft schwer vermittelbar, mitunter verstehen sich die Künstler untereinander nicht einmal mehr. Das Projekt „Wir nennen es Hamburg“ versucht nun erneut, die verschiedenen Künste zusammenzubringen und einen nicht allzu fraktalen Blick auf die Hamburger Kulturlandschaft zu werfen.
Dabei ist das ab heute Sicht- und Hörbare notwendig nur eine aktuelle Momentaufnahme der hiesigen Szene. Mindestens so wichtig ist das, was den Präsentationen und Performances im Kunstverein und auf Kampnagel vorausging: Ein forschendes Interesse zweier einigermaßen gesicherter Institutionen an der oft keineswegs gesicherten Kulturproduktion im Hamburger Raum. Und manches, was eine Errungenschaft der „Off-Kultur“ war, findet sich in großen Hallen wieder. Anerkennung sagen die einen, Ausbeutung sagen andere. Neue Wege der Zusammenarbeit gehen dabei nicht nur die Institutionen, in der langen Planungsphase wurden auch neue Kooperationen zwischen Künstlern gestiftet.
Im Kunstverein werden zwanzig interdisziplinäre Arbeiten gezeigt. Der Hamburg-Berliner Kunststar Daniel Richter löste aus dem Bühnenbild einer Salzburger Inszenierung ein bemaltes Haus, und stattete es mit ausgestopften und zu verletzten Jägern gestalteten Füchsen aus. Martin Krützfeld filmte in harten Pixeln und sehr malerisch ein Konzert einer Heavy-Metal-Noise-Band mit dem Handy. Eine weitere Medienreflexion kommt von der Gruppe Jochen Schmith: Sie bauten ein mit halbdurchlässigen Plexiglasspiegeln bestücktes Setting als Eingang zum Video von „Privilege“, jenes Films von Peter Watkins, der wie kein anderer die faschistischen und volksverdummenden Elemente der Popmusikkultur anprangert.
Die rekonstruierende Rückübertragung einer von Michaela Melián 1999 im Kunstraum des Kiez-Clubs „The Better Days Projekt“ gezeigten Installation erinnert daran, das interdisziplinäre Kunst in Hamburg eine lange Geschichte hat – Belinda Grace Gardner arbeitet das in ihrem Katalogtext auf. Mit dem Katalog hat es zudem eine besondere Bewandtnis: Er wird nur im verschlossenen Schuber für 60 Euro verkauft mit je einem gestifteten Originalkunstwerk, einer Zeichnung oder einem Bild in Din-A 4 oder einer Medienarbeit.
Es ist ein die künstlerische Leistung jenseits des Marktes gleichstellendes Konzept, das gerade deshalb spekulative Gelüste auf teuer gehandelte Kunstware wecken wird. Jeder der ausgewählten Künstler hat eine zweite Arbeit abgeliefert: So findet sich neben den 20 großen Arbeiten im Kunstverein ein Fries von über 250 Kunsthäppchen im Din-A 4 Format, kleine Beiträge Hamburger KünstlerInnen von Jürgen Albrecht bis Manuel Zonouzi, die von schön bis bissig Einblick in ein breites Spektrum geben.
Der Verweis auf die Vielfalt und Stärke der Hamburger Kunstszene ist für Yilmaz Dziewior vom Kunstverein ein Abschiedsstatement, für die neugierig aus Berlin gekommene Kampnagelcrew ist er Hoffnung für die Zukunft. Die vorhandene Kreativität scheint auf in kleinem Zeichenformat, manifestiert sich in medienkritischen Installationen und begeistert in Aktionen und Performances, in Tanz- und Theaterstücken.
Wie schön wäre es, wenn anlässlich dieses Festivals auch die Kulturbehörde dieses heimische Potenzial auf internationalem Niveau zur Kenntnis nähme und nicht ständig Budgets reduzierte oder – gerade aktuell – die ohnehin geringen Gelder für die individuelle Künstlerförderung ganz streichen würde. HAJO SCHIFF
Eröffnung: Sa, 11. 10., 16 – 21.45 Uhr, Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23; Shuttle bis Kampnagel um 19 + 20 Uhr. Party + Veranstaltungen auf Kampnagel ab 19 Uhr: Aufführungen von „Perspektive Hamburg“ (siehe taz vom 9. 10.) und „Der neue Mensch“, Konzert der Kunstgroßlangzeitband „F. S. K.“, Aktionen von „Schwabinggrad Ballett“ und Record-Release-Party von „Boy Division“ mit Geheimagentur. Ausstellung im Kunstverein: Bis zum 4. Januar 2009; www.kunstverein.de; jeden Donnerstag auf Kampnagel, 21 Uhr: Clüb Hämbülee mit Musik und Aktion; www.kampnagel.de