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Archiv-Artikel

Stadt im Halbschlaf

Die Jubiläumsausgabe des Jahrbuchs „Architektur in Hamburg“ feiert die reflexive Moderne: Die Elbphilharmonie zeigt, wie sich Alt und Neu spannungsreich zusammenfügen. Im Wohnungsbau herrscht dagegen ästhetische Belanglosigkeit und reaktionäre Rückbesinnung

Von MAXIMILIAN PROBST

Hamburg verschlafen zu nennen, ginge an der Sache vorbei. Es ist eher so, dass die Stadt gerne vor sich hindöst, den Halbschlaf kultiviert. So muss es auch in den 80er Jahren gewesen sein: Längst kreischte andernorts der Wandel, der neue Urbanismus, aber bis Hamburg aus seinem architektonischen Schlummer erwachte, dauerte es noch bis zum Ende des Jahrzehnts. Aber auch das nahm erst mal keiner zur Kenntnis, so dass ein paar Eingeweihte in die Bresche springen mussten: 1989 erschien das erste Jahrbuch „Architektur in Hamburg“. Dieses Jahr liegt es zum zwanzigsten Mal im Buchhandel aus.

Anlass genug, im Journal Rückschau zu halten: Gewürdigt wird vor allem dem Boom der Stadtentwicklung und Hamburgs Hinwendung zum Wasser. Die Krönung dieses Prozesses erblickt Oberbaudirektor Jörn Walter in der Elbphilharmonie. Der Entwurf von Herzog & de Meuron verdeutlicht für ihn zugleich, was die Architektur in Hamburg der letzten zwei Jahrzehnte eint: eine „reflexive Moderne“, die dem kritischen Geist der Aufklärung verpflichtet, aber bereinigt ist vom sozialutopischen und revolutionären Impetus der 1920er- und Nachkriegsjahre. Werner Kallmorgen hatte für seinen modernistischen Kaispeicher ein historisch relevantes Hafengebäude gesprengt. Diese selbstgefällige Ignoranz sei heute einer Skepsis gewichen, die das Alte zu würdigen weiß, während sie am Neuen baut.

Ausführlich wird das „Bauen am Bestand“ auch von Dirk Meyerhöfer für die letzten 20 Jahre untersucht. Sein Resümee: Das alte Wort von der „Abrissstadt“ gilt nicht mehr, wie die Beispiele Zeisehalle, Borsel- und Phönixhof zeigten. Für Entwarnung ist es aber zu früh: Das elegante Millerntorhochhaus wurde 1995 mit dem fadenscheinigen Grund einer Asbestsanierung gesprengt. Und bedenklich stimmt den Autor auch das Schicksal der Astrahalle: 1992 vom Jahrbuch noch als gelungene Erweiterung gefeiert, ist sie heute schon verschwunden. Nicht einmal 15 Jahre durfte sie stehen.

Das neu gebaute Bavaria-Quartier bildet den Schwerpunk der aktuellen Architekturschau des Jahrbuchs. So macht sich Hanno Rauterberg an eine versöhnliche Analyse des Viertels: Er spürt darin den Geist von Schwarz-Grün vorweggenommen wehen: Die Architektur suche keine Vermittlung mit dem alten Sankt-Pauli, beschönige nichts: „Gegensätze werden ausgehalten und produktiv entwickelt“.

Gert Kähler geht da mehr auf Distanz: Er beklagt die Vielfarbigkeit des Viertels: Die Bauvorgabe forderte den dunkelroten Klinker, nun aber changiere die Farbpalette „zwischen fast weiß und praktisch richtig schwarz“ – was der Identität des Viertels gar nicht gut bekomme.

Lobende Worte findet das Jahrbuch für das Bürohaus ADA1 an der Alster, das mit seiner 70er Jahre Weltraumästhetik die hanseatische Kleiderordnung aufmische. Und der Elbcampus in Harburg überzeugt, weil er Kommunikation kultiviere: Mit seinem komplexen Schachtelsystem scheint der Bau „auf der ständigen Suche nach Allianzen, Symbiosen und Andockmöglichkeiten“ und spiegele damit die Praxis des Wissenschaftsbetriebs. Wirklich unzufrieden ist das Jahrbuch nur mit dem Hamburger Wohnungsbau. Dabei läge gerade hier – Stichwort wachsende Stadt – ein immenses Potential: Der Kunsthistoriker Ralf Lange hat aber nur normierte Wohnungszuschnitte und ästhetische Belanglosigkeiten entdeckt. Verschlimmert wird die Lage durch die sich verschärfende soziale Segregation: Seit 1990 haben sich die öffentlich geförderten Wohnungen in Hamburg halbiert, zum Leidwesen von Arbeitslosen, alleinerziehenden Müttern und Migranten.

Regelrecht verdammt wird auch der Wohnungsbau im so genannten „Westend“: Mit seinem bieder-spießigen Klassizismus an’s bürgerliche 19. Jahrhundert anknüpfend, gehe dort das Erbe der Moderne vollständig flöten: „Im Ottensener Westend wird keine sozialere Welt geschaffen, höchstens eine heile für eine betuchte Klientel.“ Aber auch in diesem Text wird die zwischenzeitliche Schärfe am Ende zurückgenommen. Der Architekturkritiker beweist seine Größe und den Segen des Pluralismus, indem er lächelnd über die Geschmacksverirrung hinwegsieht: „Die Bewohner lieben diese Formsprache. Das ist zunächst einmal eines: ihr gutes Recht.“

Architektur in Hamburg, Jahrbuch 2008, Junius, 192 Seite, 39.90,-