: Linien treu
Städtische Galerie Delmenhorst zeigt Grafiken von Daumier bis weit über Picasso hinaus
Brouet ist der heimliche Star. Natürlich, es sind die ganz großen Namen der grafischen Kunst, mit denen die Städtische Galerie Delmenhorst die erste Ausstellung der Osnabrücker universitären Grafischen Sammlung außerhalb ihres Heimatortes bewirbt.
So markieren die Titanen der Zunft die Eckdaten der kunsthistorischen Zeitreise: Honoré Daumier (1808-1879) einerseits, andererseits Pablo Picasso (1881-1973), obwohl auch Künstler vertreten sind, die ästhetisch und biografisch der Ära nach dem Jahrhundertmaler angehören: Pop- und Op-Artisten,Max Bill etwa, oder rätselhafte Einzelgänger wie der Katalane Antoni Tápies.
Und sicher, mit ihren Prunkstücken empfängt die Schau den Besucher: Im Entree-Bereich hängen, vielleicht etwas zu bunt neben einander, eine Stierkampfszene von Picasso, eine Skizze von Bonnard, Hans-Georg Rauchs kurios verspielte „Schieber“, die sich, in gesichtloser Verzweiflung bemühen, getuschte Kritzeleien, Zeichenschrott aus der Bildmitte zu drücken. Und – fast zu übersehen – Kees van Dongens eleganter Frauenkopf.
Der heimliche Star aber ist jener Auguste Brouet, den kaum jemand kennt, es sei denn, er hat sich vor seinem Besuch der städtischen Galerie Delmenhorst an der Sammlung des Museum of Fine Arts in San Francisco ergötzt. Ein Vergessener, der, 1872 geboren, am Montmartre lebte, arbeitete – und ebenso wenig beachtet wurde, wie er selbst zeitgenössischen Kunstzirkeln Beachtung schenkte. Impressionismus? Expressionismus? Nichts da: Marktstände, ein Händler mit Kiepe, ein Lumpensammler, dessen Wagen ein zottiger Hund zieht – Genreszenen, die am ehesten noch an Zille gemahnen.
Stilistisch aber fühlt sich der Betrachter unversehens ins frühe 17. Jahrhundert zurück versetzt: Bis zu seinem Tode im Jahr 1941 pflegte Brouet eine Art altniederländischen Naturalismus. Er dürfte auch dessen einziger Vertreter gewesen sein.
In die Osnabrücker Sammlung sei Brouet, so die Leiterin der Städtischen Galerie Barbara Alms, gezielt als Widerhaken aufgenommen worden. „Er soll daran erinnern, dass neben dem Hauptweg der Moderne auch andere Kunst geschaffen wurde.“ Die Radierungen wirken nüchtern, manchmal ausdrücklich nicht engagiert: Statt Grafik als Mittel der Agitation zu nutzen, hat Brouet mit treuen Linien Verlorenheit und Sentimentalität der einfachen Leute schlicht dokumentiert; nie fotorealistisch, sondern immer mit der weichen Kontur der Strichätzung. Und vielleicht deshalb von einer gefühlten Echtheit, die Lichtbilder kaum erreichen.
Zugegeben, der Ausstellung mangelt es an einem echten roten Faden. Gut, alle Künstler – na oder fast alle – haben in Paris gewirkt. Oder waren doch zumindest mal da. Aber darin unterscheiden sich die gezeigten Künstler kaum von denen, die nicht präsent sind. Mehr als Entschädigung dafür aber ist die Begegnung mit den verblüffenden Schätzen, die im Verborgenen der – ach, Provinz ist so ein schnödes Wort! – Kleinstmetropolen-Universität schlummern: Vergleichbare norddeutsche Sammlungen aufzuspüren und zu zeigen, dieses Konzept will Alm weiter verfolgen: Verheißungsvoll. Und viel mehr als nur ein Ansatz. Benno Schirrmeister
Von Daumier bis Picasso, Städtische Galerie Delmenhorst. Bis 13. April