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Archiv-Artikel

Glückloser Gerster fleht um Geduld

4,623 Millionen Menschen waren im Januar arbeitslos. Lehrstellenmangel nimmt zu. Arbeitsämter-Chef Gerster behauptet, sein Verhältnis zur Regierung sei „sehr gut“. Nach EU-Standard gäbe es nicht 11,1 Prozent, sondern 8,6 Prozent Arbeitslose

von ULRIKE HERRMANN

Auch im Januar hat die Zahl der Arbeitslosen dramatisch zugenommen. Gestern gab der Vorstandschef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, die offiziellen Zahlen bekannt: Insgesamt waren 4,623 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos. Dies sind 398.000 mehr als noch im Dezember. Damit wurde der höchste Januarwert seit fünf Jahren verzeichnet. Die Arbeitslosenquote stieg auf 11,1 Prozent, im Dezember hatte sie noch bei 10,1 gelegen. Auch saisonbereinigt nahm die Zahl der Arbeitslosen deutlich zu – um 62.000 Menschen.

Unverändert ist die Spaltung Deutschlands: Der Westen verzeichnete eine Quote von 8,8 Prozent, der Osten 19,5 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei unter 10 Prozent und damit unter dem Durchschnitt. Allerdings konnte die Ausbildungsbilanz 2002 erstmals „keinen rechnerischen Ausgleich“ mehr ausweisen. Es suchten also auch am Jahresende mehr Jugendliche eine Lehrstelle, als Plätze offen waren. Da sich die meisten Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz in diesem Jahr erneut bewerben dürften, prognostizierte Gerster, „dass die Probleme nicht geringer werden“.

Das „Mainzer Modell“, das Löhne subventioniert, verlief weiterhin enttäuschend: Knapp 10.000 Menschen wurden bisher von den Arbeitsämtern gefördert. Das sei zwar „deutlich mehr als nichts“, so Gerster, „aber weniger, als wir erhofft haben“.

Er rechnete damit, dass die Konjunktur „in der zweiten Jahreshälte anziehen“ werde. Wie auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) geht Gerster von einem jährlichen Wachstum von 1 Prozent aus. Im Jahresdurchschnitt erwartet er 4,2 Millionen Arbeitslose. Allerdings werde die Konjunkturbelebung erst gegen Jahresende auch den Arbeitsmarkt erreichen.

Wiederholt bat Gerster um „Geduld“. Nicht ohne Grund: Gestern meldete die Süddeutsche Zeitung, dass Clement und Kanzler Gerhard Schröder „keineswegs zufrieden“ seien mit dem Chef der Arbeitsämter. Gerster dementierte dies: Der Kontakt zur Regierung sei „sehr gut“, es gebe „hohes Einvernehmen“.

Dazu gehört auch, dass der Bundeszuschuss weiterhin „null“ betragen soll. Im letzten Jahr hatte er noch bei 5,62 Milliarden Euro gelegen. Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am „Institut zur Zukunft der Arbeit“ in Bonn, hält dies für eine realistische Prognose: Gerade bei den Weiterbildungsmaßnamen sieht er ein „riesiges Einsparpotenzial“. Denn oft würden die Kurse den Arbeitslosen „nicht wirklich etwas bringen“.

Zu einer anderen Einschätzung kommt sein Kollege Viktor Steiner vom „Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“: Er hält es für „wenig realistisch“, bei der Bundesanstalt für Arbeit zu sparen. Denn viele Beschäftigungs- und Weiterbildungsmaßnahmen dienten dazu, die Kommunen von der Sozialhilfe zu entlasten. Er rechnet mit „starken politischen Widerständen“.

Inzwischen hat das Wirtschaftsministerium bestätigt, dass die Arbeitslosenstatistik im nächsten Jahr auf den EU-Standard umgestellt wird. Er zählt nur die Erwerbslosen, die keinerlei Nebenbeschäftigung nachgehen und der Vermittlung sofort zur Verfügung stehen. Danach läge die aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland bei 8,6 Prozent.

Das Bundesamt für Statistik meldet allerdings Bedenken dagegen an, die deutsche Arbeitsmarktstatistik ganz abzuschaffen. Denn nur dort würde „die Wirkung der deutschen Arbeitsmarktmaßnahmen nachgezeichnet“, wie ein Sprecher der taz sagte. Das Amt wünscht sich „ein zweigleisiges Verfahren“.

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