: Zweifel an Standfestigkeit
Die Art, wie sich Deutschland bei der Anberaumung der UN-Sitzung von den USA das Heft aus der Hand nehmen ließ, wirft die Frage auf, ob Berlins Position Bestand hat
NEW YORK taz ■ Wenige Stunden vor dem gestrigen Auftritt seines US-amerikanischen Amtskollegen Colin Powell vor dem UNO-Sicherheitsrat bemühte sich Außenminister Joschka Fischer noch um die Verbreitung von vorsichtigem Optimismus. Er sehe „gute Chancen, die Ziele der Abrüstungsresolution 1441 der Vereinten Nationen ohne Gewalt umzusetzen“, betonte der Minister nach seiner Ankunft in New York vor Journalisten. Fischer warnte vor den „Folgen eines Krieges nicht nur für unschuldige Menschen, sondern auch mit Blick auf eine Destabilierung der Region“. Angesichts dieser Folgen gehe er davon aus, „dass alle Beteiligten die Risiken eines Krieges sorgfältig abwägen“.
Pfeifen im Walde? Beschwichtigung des heimischen Publikums wider besseres Wissen? Oder die ehrlich gemeinte Ankündigung, die von Deutschland formulierte Position – die so oder ähnlich zumindest bis zum Auftritt von US-Außenminister Powell vor dem Sicherheitsrat auch von zehn weiteren Ratsmitgliedern formuliert wurde – werde auch über den gestrigen Tag hinaus Bestand haben?
Die Äußerungen von Deutschlands UNO-Botschafter Gunter Pleuger im Vorfeld der Ratssitzung ließen verschiedene Interpretationen zu. „Der Status quo sind die laufenden Rüstungsinspektionen im Irak, für die es in der Resolution 1441 keine zeitliche Befristung gibt. Bislang hat noch niemand die Initiative ergriffen, um den Status quo zu verändern.
Dieser Satz ist die Brandmauer, mit der Pleuger alle Fragen nach einem Ende der Inspektionen, einer zweiten Irakresolution des Rates oder einem Ultimatum an die Adresse des Regimes in Bagdad als „bloße Spekulation“ abwehrt.
Zu öffentlichen Äußerungen aus der Bush-Administration und der Regierung Großbritanniens, die recht eindeutige Absichten erkennen lassen, äußert sich der deutsche Botschafter nicht. Bei ihm, dem Ratsvorsitzenden im Monat Februar, oder auch bei der Regierung in Berlin sei jedenfalls noch niemand vorstellig geworden mit dem Wunsch nach einer Veränderung des Status quo. Über eine zweite Resolution habe es noch nicht einmal informelle Konsultationen gegeben, beteuerte Pleuger am Tag vor der gestrigen Ratssitzung in New York.
Zugleich aber deutet Berlins Botschafter an, wo für die Bundesregierung der Kompromiss liegen könnte: Sollte ein Ratsmitglied den Antrag stellen, die Waffeninspektionen im Irak zu beenden, müsse im Sicherheitsrat eine Einigung über den Zeitpunkt erzielt werden.
Die Art und Weise, wie sich der Ratsvorsitzende Deutschland letzte Woche bei der Anberaumung der gestrigen Sitzung von den USA überfahren und sich das Heft des Handelns aus der Hand nehmen ließ, hat unter Diplomaten und Journalisten in der New Yorker UNO-Zentrale zu erheblichen Zweifeln an der Standfestigkeit der Bundesregierung in der Irakfrage geführt.
Die heftige und nervöse Reaktion von Bundesaußenminister Joschka Fischer auf die Berichte deutscher Medien über diesen Vorgang hat diese Zweifel noch verstärkt. Schließlich erweckte Botschafter Pleuger mit Antworten auf Fragen nach der Vorbereitung und dem zu erwartenden Ablauf der gestrigen Sitzung nicht gerade die Erwartung, der Ratsvorsitzende Deutschland werde Herr des Verfahrens sein.
ANDREAS ZUMACH