: „Wir bedienen eine Sehnsucht nach Exotik“
Americana, die ich meine: Der Gitarrist Joey Burns, Kopf der alternativen Country-Band Calexico, über die Grenze zwischen den USA und Mexiko, ihre Geschichte von illegaler Immigration und kulturellem Austausch, wie man all das in Musik umsetzt und dabei nahe liegende Klischees umgeht
von THOMAS WINKLER
taz: Waren Sie jemals in der Stadt Calexico?
Joey Burns: Ja, war ich.
Hat es Ihnen gefallen?
Ja, es ist eine nette kleine Stadt.
Waren Sie dort, bevor Sie Ihrer Band diesen Namen gaben?
Nein, ich hatte den Namen auf einem Straßenschild gesehen. Wir waren unterwegs auf einer Tournee, mit den Friends of Dean Martinez, auf dem Highway von Tucson nach San Diego. Der Name auf dem Schild stach heraus mit seiner Ironie, wie ein Hybrid aus California und Mexiko. Es war fast Realsatire.
Calexico verbinden US-Country und Folk mit der Musik mexikanischer Immigranten, mit Texmex und Mariachis. Ihr neues Album „Feast of Wire“ ist nun erstmals explizit politisch, es klagt geradezu an. Warum?
Ja, die Platte ist emotionally political and politically emotional. (grinst hinterlistig)
Und was soll das bedeuten?
Die Platte reflektiert historische und aktuelle, lokale und weltweite Ereignisse, betrachtet sie von außen und von innen. Sie erzählt, sowohl in der Musik als auch in den Texten, vom Kontrast zwischen zwei Welten.
Ist die Situation an der mexikanischen Grenze ein Thema in der US-Öffentlichkeit?
Es taucht ab und zu auf. Vor allem nach 9/11 wurden die Grenzen zum Thema, weil an ihnen jeder, der etwas arabisch aussah, besonders ausführlich kontrolliert wurde. Und das traf natürlich auch Mexikaner, Lateinamerikaner, Hispanier. Ansonsten aber interessiert sich der Durchschnittsamerikaner nicht dafür, was außerhalb der USA passiert.
Die Beschränktheit, die man zuweilen im Mittleren Westen und ähnlichen Gebieten antrifft, kann schon schockierend sein. Diese eingeschränkte Sichtweise mag etwas typisch Kleinstädtisches sein, weltweit. Aber was Ignoranz angeht, tut sich Amerika schon hervor.
Hegen Sie mit „Feast of Wire“ eine politische Absicht – zur Aufklärung beizutragen etwa?
Nein, die Platte ist eher als Reflexion angelegt. Sie soll hinterfragen – und zwar nicht nur andere, sondern auch uns selbst. Es geht um Fragen, die ich mir selbst stelle: Was kann ich tun? Wo stehe ich? Wo ist mein Platz? So wird es sowohl ein politisches als auch ein persönliches Thema.
Für mich ging es bei dieser Platte auch um eine Art Landschaftsbau an der eigenen Persönlichkeit, um Fragen wie: Warum spiele ich diese Musik?
Warum spielen Sie diese Musik?
Weil wir zwar einen weitgehend amerikanischen Background haben, uns aber für andere Musik interessieren und das Glück haben, in Tucson zu leben, wo wir mit vielen anderen Musikern aus anderen Kulturen zusammenarbeiten können. Aber klar, als Musiker entscheidet man sich nicht bewusst für diesen Weg: Man folgt seinen Instinkten, man folgt dem Herzen.
Verbinden Sie selbst irgendwelche persönlichen Erfahrungen mit der Grenze zu Mexiko?
Nicht allzu viele. Ich bin in Kanada geboren, aber in Südkalifornien aufgewachsen, also ist unsere Familie ab und zu nach Mexiko gefahren. Meine Mutter war Sozialarbeiterin und hat eine Zeit lang in Barrios Englisch unterrichtet. Studiert habe ich dann an der University of California in Irvine, noch weiter südlich, und an den Wochenenden sind wir nach Tijuana gefahren, um die Sau rauszulassen. Aber in der Lokalpresse liest man natürlich fast täglich von solchen Fällen [der versuchten Flucht aus Mexiko über die Grenze etwa, d. Red.], wie wir sie auf der Platte beschreiben. Und wenn man sieht, wie die Todeszahlen steigen, fragt man sich schon: Was geht hier eigentlich ab?
Was kann Musik zur Lösung des Problems beitragen?
Natürlich haben wir auch keine Lösung anzubieten. Aber: Wir haben zusammengearbeitet mit Musikern wie Jacob Valenzuela, dessen Vater aus Mexiko stammt und kein Wort Englisch spricht. Dass wir uns besser kennen lernen, uns näher kommen, erfahren, woher wir kommen. Das allein ist schon ein politischer Akt.
Nun braucht man nicht unbedingt Musik, um anderen Menschen, Kulturen oder Realitäten näher zu kommen, oder?
Nein, nicht unbedingt. Aber Musik ist eine einzigartige Methode. Manchmal ist es schwer, mit Worten zu beschreiben, woher man kommt. Mit der Musik wird das ganz einfach.
Sind Calexico, die Band, und Calexico, die Stadt, eine Art Testlabore, an denen man die Konsequenzen der Globalisierung studieren könnte?
Je länger wir darüber reden, desto mehr kommt es mir vor, als würde uns die ganze Welt tatsächlich so sehen. Spätestens seit dem letzten Album gibt es dieses Vorurteil, wir seien eine Konzeptband. Dabei ist es ganz einfach: Wenn man darüber nachdenkt, was um einen herum in der Welt passiert, drückt sich das nun mal in der Musik aus. Und da es hier in Europa ähnliche Probleme gibt – Immigranten, die in Containern ersticken oder in Flüssen ertrinken –, kann diese Musik vielleicht auch Menschen hier erreichen.
Ich sehe mich aber eher als Musiker und nur zum Teil dafür verantwortlich, welche Themen aus unserer Musik heraus entstehen. Allerdings dürfen wir uns nicht beschweren: Schließlich haben wir diesen bedeutungsschwangeren Bandnamen gewählt, spielen mit mexikanischen Musikern und lassen unsere Cover von Victor Gastelum gestalten, der inspiriert ist von Raymond Pettibon und mexikanischer Folk-Art und der selbst einen mexikanischen Vater hat.
Aber ich sehe die Band nicht als abgeschlossenes Labor, in dem ein gesteuertes Experiment abläuft, sondern eher als Community, die offen ist für alles, für neue Einflüsse und Veränderungen, für Interpretationen.
Calexico haben großen Erfolg in Europa, mehr als in den Vereinigten Staaten. Wie erklären Sie sich das?
Ich denke, wir befriedigen eine gewisse Sehnsucht nach Exotik. Viele Europäer waren zwar noch nicht dort, wo wir herkommen, aber haben gewisse Vorstellungen, wie es da so ist. Vielleicht bedienen wir solche Vorstellungen. Aber, das hoffe ich jedenfalls: Unsere Musik geht über ein bloßes Wiedererkennen leicht identifizierbarer Klischees hinaus.
Bedienen Calexico mit ihrer Musik nicht einen touristischen Blick auf Amerika?
Für mich ist es natürlich viel mehr als das, aber es könnte natürlich unseren Erfolg in Europa erklären. Offensichtliche Klischees wie ein Kaktus in einer Wüstenlandschaft können für einen europäischen Hörer zum Türöffner werden für eine Musik, die eine ganze Welt voller verschiedener Einflüsse aufweist, von Blues bis Jazz reicht.
Wie umgeht man Klischees?
Gar nicht. Das fängt schon damit an, dass man heutzutage als Musiker, der ein Instrument spielt, bereits ein Klischee ist. Ich finde elektronische Musik sehr interessant, wir haben ja auch schon mit Samplern experimentiert, aber mich fasziniert weiterhin die Tradition, ein Instrument in die Hand zu nehmen und Musik zu machen. Sicher gibt es sehr feine Grenzen, welche Melodien, welche Instrumentierung, welche Kombinationen an Sounds funktionieren und welche nicht.
„Feast of Wire“ hätte ganz leicht danebengehen können. Nun geht diese Platte hoffentlich weit über Klischees hinaus.
Aber die Musik von Calexico funktioniert durchaus wie ein guter Spaghettiwestern, oder?
Ich denke, es ist interessant, wie ein Klischee funktioniert, wie es benutzt wird und wie es rezipiert wird. Wenn man sich nur überlegt, dass ein italienischer Regisseur, inspiriert vielleicht von einer Geschichte von Karl May, einen Film dreht in Spanien über den Wilden Westen. Zu diesen Bildern wiederum schreibt jemand wie Ennio Morricone, ein Italoamerikaner, die Musik und benutzt dafür eine Instrumentierung, wie sie ihm in den Sechzigerjahren zur Verfügung stand. Was hat sich der wohl dabei gedacht? Er hat halt seine Vorstellungskraft benutzt.
Er hätte sich genauso gut eine Gesellschaft auf dem Mars im Jahre 2030 vorstellen und dazu Musik schreiben können. Doch aus irgendeinem Grund funktionieren diese Filme und diese Musik immer noch. Vor allem funktionieren sie überall: nicht nur für Europäer, nicht nur für Amerikaner.
Sie leben in Tucson, Arizona. Sie könnten also auch Marsmusik schreiben, oder?
Als ich, der ich ja in Kalifornien aufgewachsen bin, mit gewissen Vorstellungen im Kopf nach Tucson zog und die wunderschöne Landschaft entdeckte, etwa die Sonora-Wüste im Südwesten der USA, da sah ich zuerst auch nur all die offensichtlichen Klischees.
Aber man findet in dieser Landschaft schnell eine Tiefe, die nicht mit Musik oder Malerei zu beschreiben ist, die jenseits von Klang oder Farbe liegt. Alles fängt an mit Karl May oder irgendeinem anderen Schreiber – vielleicht mit Ignaz Pfefferkorn, der an der Kolonisierung Mexikos beteiligt war. Alles beginnt halt mit der Erfahrung eines Anderen – mit Klischees, die man dann aber wiederum um eigene Erfahrungen ergänzt und in eigene Äußerungen umsetzt. In unserem Fall eben in Musik.