: Özdemir ausgebremst
Obwohl er Parteichef werden soll, lässt Baden-Württembergs Grünen-Basis Cem Özdemir nicht in den Bundestag. Er fällt sogar zweimal durch
AUS SCHWÄBISCH GMÜND INGO ARZT
„Shit happens“ – mehr gab Cem Özdemir nicht mehr von sich, gratulierte seinem Kontrahenten und verließ die Halle. Zwei Wahlniederlagen hatten die Delegierten der baden-württembergischen Grünen ihrem designierten Bundesvorsitzenden eingebrockt. Er wollte einen sicheren Listenplatz, um nächstes Jahr bei der Bundestagswahl auch ins Parlament einzuziehen. Doch erst verlor er gegen den Linken Winfried Hermann, dann gegen Realo Alexander Bonde.
Nun könnte den Grünen eine neue Vorsitzenden-Debatte bevorstehen. „Tief gekränkt“ sei Özdemir, hieß es aus seinem Umfeld. Ob er sich, wie geplant, im November zum Vorsitzenden wählen lässt, ließ er erst mal offen. „Der muss Bundesvorsitzender werden, keine Frage“, beschwichtigte der Fraktionschef im Bundestag, Fritz Kuhn. Die Landeschefs in Baden-Württemberg, Petra Selg und Daniel Mouratidis, forderten Özdemir auf, an der Kandidatur festzuhalten – ebenso wie Grünen-Chefs aus NRW und Hessen. Der Geschlagene selbst schwieg zunächst. „Wer den Cem kennt, weiß, dass er erst mal Zeit zum Nachdenken braucht“, sagte ein Vertrauter.
Offensichtlich hat sich der designierte Vorsitzende verspekuliert. Bereits in den ersten Wahlgängen zeichnete sich ab, dass die Basis murrt. Realo-Frau Kerstin Andreae bekam auf Listenplatz eins nur 68 Prozent der Stimmen, obwohl sie ohne Gegenkandidatin antrat. Platz zwei der Liste war für Fritz Kuhn reserviert, ebenfalls konkurrenzlos stimmten bloß 63,5 Prozent für ihn. Bis zur Wahl Özdemirs auf Platz sechs der Liste gewannen mit Sylvia Kotting-Uhl, Gerhard Schick und Beate Müller-Gemmeke nur noch Leute, die eher dem linke Lager zugerechnet werden – ungewöhnlich für die Realo-Hochburg Baden-Württemberg. Als schließlich Hermann mit 108 zu 93 Stimmen Özdemir schlug, war der Linksruck perfekt. Hermann hatte sich als Gegner des Afghanistan-Einsatzes hervorgetan und die Privatisierung der Bahn gegeißelt. „Ich hampel nicht, ich schwampel nicht, ich bin einfach nur glasklar grün“, erklärte er. Özdemir erntete für seine Rede zwar längeren Beifall. Migration, Bildungschancen für arme Kinder, Europapolitik: Inhaltlich überzeugte er den Parteitag. Allerdings drehten sich die Fragen nach seiner Rede zum größten Teil darum, warum er als Parteichef in den Bundestag will. Özdemirs Erklärung dazu war knapp: „Seit 2005 ist es uns nicht gelungen, grüne Politik effektiv aufeinander abzustimmen und zu koordinieren.“ Dazu müsse er ein Mandat haben. Vielen Delegierten war diese Erklärung offenbar zu dürftig: Bei den Grünen dürfen erst seit 2003 zwei der sechs Bundesvorstände auch ein Mandat als Abgeordnete innehaben. Inhaltlich patzte Özdemir zudem bei der Frage, ob er für eine Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes stimmen würde. Wolkig sprach er davon, dass jeder Abgeordnete gemäß seines Gewissens abstimmen solle.
Bereits früh an diesem Abend war die Rechnung der Realos durcheinandergeraten: Gerhard Schick schaffte es bei der Wahl um Listenplatz vier mit einer Rede zur Finanzkrise das erste Mal, den Delegierten weit mehr als braven Standardapplaus zu entlocken. Sein Konkurrent Alexander Bonde verlor – ein Realo-Bundestagsabgeordneter, dem eine große Nähe zur Parteibasis bescheinigt wird. Er wurde nun zu Özdemirs Gegner bei dessen zweitem Anlauf, der Wahl um Platz acht. Özdemir verlor klar mit 108 zu 83 Stimmen. „Bei Grüns ist das nicht so, dass man mal schnell eine Mehrheit organisiert“, sagte später einer aus dem Landesvorstand. „Das ist das Schöne, aber auch das Problem.“
meinung und diskussion SEITE 12