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Archiv-Artikel

Bündnis für Arbeit vor dem Aus

Die Gespräche haben noch gar nicht begonnen, da überbieten sich beide Seiten schon mit unerfüllbaren Forderungen. Arbeitgeber verlangen drastische Einschnitte beim Kündigungsschutz, Gewerkschaften wollen höhere Neuverschuldung

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Gewerkschaften und Arbeitgeber sind sich einig in ihrer Uneinigkeit: Sie halten das neue Bündnis für Arbeit für vorerst gescheitert, obwohl die offiziellen Gespräche noch gar nicht begonnen haben. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hingegen hofft noch. Er will sich weiter bemühen, „beide Seiten an einen Tisch zu bringen“.

Diese beiden Seiten waren gestern bestrebt, nicht als die Schuldigen eines Scheiterns dazustehen und den „Blockierer“ beim jeweils anderen Tarifpartner auszumachen. So präsentierte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt ein „Sechs-Punkte-Programm“ – einen „Pakt für Wachstum, Beschäftigung und Ausbildung“. Wichtigstes Zugeständnis an die Gewerkschaften: Die Arbeitgeber wären bereit, „für jeden ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen eine Lehrstelle“ anzubieten. Notfalls würden die Arbeitgeber auch überbetriebliche Ausbildungsplätze organisieren und finanzieren. Zudem würden „Weiterbildung und Qualifizierung ermöglicht“.

Dieses Angebot ist jedoch nur „im Junktim“ zu haben, wie Hundt betonte. Als Gegenleistung erwarten die Arbeitgeber, dass die Gewerkschaften in den nächsten Jahren mit ihren Lohnabschlüssen unter dem prognostizierten Produktivitätszuwachs liegen. Außerdem sollen sie Öffnungsklauseln akzeptieren, so dass Betriebe vom Tarifvertrag abweichen können, „wenn Arbeitnehmer, Betriebsrat und Arbeitgeber dies übereinstimmend wollen“. Der Kündigungsschutz soll nur noch in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern und erst ab einer Beschäftigungsdauer von mehr als drei Jahren gelten. Schließlich hatten die Arbeitgeber noch Wünsche an die Bundesregierung: Sie soll unter anderem auf eine Mindeststeuer für Unternehmensgewinne verzichten.

Clement wollte zwar nicht „in allen Aspekten“ übereinstimmen. Dennoch würdigte er das Arbeitgeberpapier als „eine Ausgangsbasis für Gespräche“. Die Forderungen würden „nicht verbieten, miteinander zu sprechen“.

Das schätzen die Gewerkschaften anders ein. Für DGB-Chef Michael Sommer sind die Forderungen der Arbeitgeber „unannehmbar“. Besonders die Ideen zum Kündigungsschutz seien „eine Provokation“. Sommer drohte an, „Protest zu organisieren wie zu Zeiten der Regierung Kohl“, falls Rot-Grün die Regelungen zum Kündigungsschutz verändern sollte. Das ist nicht unwahrscheinlich. Clement ließ schon mehrmals verlauten, dass sein Ministerium das bestehende Arbeitsrecht „prüfe“.

Das Sechs-Punkte-Programm der Arbeitgeber konterte der DGB gestern mit sieben Forderungen. Sie sind nicht unbekannt und richten sich fast alle an den Staat. So wurden „höhere öffentliche Investitionen“ in den Kommunen verlangt und eine Ausweitung der Neuverschuldung, um die Konjunktur anzukurbeln.

Für das Bündnis für Arbeit sah Sommer weiterhin nur ein zentrales Thema: die Jugendarbeitslosigkeit. Für den Herbst erwartet er eine „Ausbildungskatastrophe“, da viele Betriebe ihre Lehrstellen streichen und gleichzeitig mehr Schulabgänger in den Beruf drängen würden. Sommer wiederholte es zweimal, so wichtig war es ihm: Die Bundesregierung müsse eine Ausbildungsabgabe einführen, also „Sanktionen beschließen, falls die Arbeitgeber die jungen Menschen wieder im Stich lassen“.

Gleichzeitig lehnte es Sommer erneut ab, im Bündnis für Arbeit über Tarifpolitik zu verhandeln. Öffnungsklauseln seien überflüssig: „Die Flächentarifverträge sind flexibel.“ Bisher habe man ihm noch „kein einziges Unternehmen“ nennen können, „das die Gewerkschaften gegen die Wand gefahren haben“. Schuld seien meist die Manager.

Einmal allerdings waren sich Arbeitgeber und Gewerkschaften gestern einig: Beide Seiten befürchteten, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr auf 5 Millionen Menschen zunehmen wird.