piwik no script img

Archiv-Artikel

standbild Sozialkunde-TV

„Artern – Stadt der Träume“ (Donnerstag, 19.50 Uhr, MDR)

Ein Gespenst ging um in Artern, das Gespenst vom In-die-Pfanne-gehauen-werden. Seit Monaten hatte sich die Produktionsfirma Endemol in der thüringischen Kleinstadt herumgetrieben, um an einer Doku-Soap zu basteln. Da Endemol auch Produzent von „Big Brother“ war, fürchteten etliche Leute in Artern – wo seit der Wende die Arbeitslosigkeit blüht –, zum medialen Spott der Fernsehnation gemacht zu werden. Das Loser-Leben in der ostdeutschen Provinz – Erlebnisfernsehen für Besserdranseiende.

Nach dem ersten Teil wissen die Arterner: Ihre Angst war unbegründet. Die Endemoler, die bereits mit „Nur die Liebe zählt“ ihren Sinn fürs Friedfertige bewiesen haben, zogen mit besten Absichten in den Osten. Keine Spur von hinterhältiger Beobachtung oder gar fieser Zurschaustellung, stattdessen permanente Suche nach dem Sympathischen im Provinznest. Gleich zu Beginn schiebt Opa Schmölling, ein stolzer Heimatforscher, sein Fahrrad durch die Straßen und spielt den Ortsführer. Man hört ihn über seine geliebte Heimatstadt erzählen, sieht die alten Herren des Ringerklubs beim Bier über alte Zeiten plaudern und den Chef eines Tattoo-Studios bei der Arbeit an einem Kunden.

Und überall spürt man, ohne explizit darauf hingewiesen zu werden: Es liegt tatsächlich ein Gespenst über der Stadt – die Arbeitslosigkeit. Jeder spricht davon, wenn von den Träumen der Leute die Rede ist. Da ist die nüchtern konstatierte Gewissheit der Freizeitsportler, dass ihre Kinder, die wegen eines Jobs in den Westen gingen, nie zurückkommen werden. Da ist die Hoffnung, dass sich in Artern bald Firmen ansiedeln. Ein Unternehmer will sogar kommen und einen Ostprodukte-Handel aufziehen. Zwei Jobs hat er zu vergeben. Um einen hat sich Mona, 33 und seit 10 Jahren arbeitslos, beworben. Über das Vorstellungsgespräch könnte man sich amüsieren – wenn dahinter nicht die vielleicht letzte echte Chance einer jungen Frau stecken würde. „Bekommt Mona den ersehnten Job?“, fragt die Off-Stimme am Ende, unterlegt von dailysoapähnlicher Musik. Gute Zeiten, schlechte Zeiten am Standort Deutschland Ost. Sozialkundefernsehen im Vorabendprogramm. GUNNAR LEUE