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Archiv-Artikel

„Krieg ist gut für die Karriere“

aus Jacksonville MICHAEL STRECK

Sie hat ihm ganz fest versprochen, nicht zu weinen. Dabei ist der einzige Moment, den sie fürchtet, der Abschied. Vor allem die Rückkehr in das leere Haus. Hilary Kinitz erzählt das nicht, während ihr Mann John dabei ist, sondern als sie allein ist im Auto. Sie will ihm den Rücken freihalten. Sie wird ihn nicht mit ihren Zweifeln quälen. Als ausgerechnet Weihnachten die Ankündigung für den Einsatz im Februar kam, war es ein Schock, obwohl sie ahnte, dass es passieren würde, und glaubte, darauf vorbereitet zu sein. Jeden Tag kann es jetzt losgehen. 24 Stunden bleiben vom Marschbefehl bis zum Abflug nach Kuwait.

Aber noch ist John Kinitz nicht in der Wüste, sondern in Jacksonville an der nebligen Küste von North Carolina, wo sich an den Einfallstraßen Holzkirchen, Stripclubs oder Massagesalons abwechseln und auf Reklamewänden perfekte Frauenkörper räkeln, die für Schönheitschirurgie werben. Und wo der FastFood-Laden „Hooter“ der letzte Schrei ist, denn hier bedienen knapp bekleidete Kellnerinnen. Der nahe gelegene Militärstützpunkt „Camp Lejeune“ sorgt für konstanten Männerüberschuss. Doch nicht mehr lange. 15.000 Soldaten des „US Marine Corps“ werden von hier aus in die Golfregion verlegt.

An vorderster Front

Bis vor wenigen Monaten streifte Hilary noch durch die Bars von Washington und diskutierte an der Georgetown-Universität der Hauptstadt über US-Außenpolitik. Heute, mit 24 Jahren und frisch verheiratet, ist sie vor allem die Frau an der Seite von Leutnant John Kinitz, Chef einer Panzereinheit. Als Offiziersgattin hat sie zurzeit die Aufgabe, das Leben vor dem Abschied so normal und unaufgeregt wie möglich zu gestalten. Am Abend zu Hause sitzen John und sie auf dem Sofa und schauen Fernsehen. Hilary schiebt zwei Mahlzeiten in die Mikrowelle, und zum Nachtisch gibt es noch ein Video. Sie gehen nicht aus, dafür früh ins Bett. Beide wirken abgeklärt und routiniert, obwohl John bislang nie länger als drei Monate auf Manöver war. Sie reden vom Krieg wie andere über den Aktienmarkt. „Ich wette, innerhalb von vier Wochen gibt es Luftangriffe“, sagt Hilary. „Krieg ist gut für die Karriere“, betont er. Danach rutscht man auf jeden Fall einen Dienstgrad höher.

Der Krieg wird kommen, das steht für beide so gut wie fest. John wird dann an vorderster Front sein und als einer der Ersten die Grenze zum Irak überqueren. Er schwärmt von seinem wendigen „LAV-25“, der aussieht wie der deutsche Spürpanzer „Fuchs“ und selbst im Wüstensand 100 Stundenkilometer schafft. Stolz zeigt der Mann mit der Zehnkämpferfigur die frische Uniform und überlegt, wer ihm dann wohl den Kopf rasieren wird. Nicht einfach so kahl, sondern die echte Marines-Frisur mit dem schmalen Haarstreifen. Auf einem Foto sieht man ihn noch mit langen Haaren. Das war in der High School. Schon damals wollte er zu der Elitetruppe. „Es würde mich verrückt machen, jeden Tag ins Büro zu gehen.“

Er würde es nicht zugeben, sagt Hilary später, aber die Ehe seiner Eltern war zerrüttet, und Geld für das College gab es nicht. Die Streitkräfte waren Johns Rettung vor dem sozialen Abseits. Und sie haben aus ihm keinen Rambo gemacht, wie man ihn aus Filmen wie „Platoon“ oder „Apocalypse now“ kennt, sondern einen freundlichen, ruhigen Mann. Zumindest auf dem Sofa. Wenn er über seine Arbeit spricht, vermeidet er das Kriegerische, spricht stattdessen von Verantwortung, Menschenführung und humanitären Missionen. Es ist sein Traumjob – wenn nicht das ständige Umziehen wäre. Da Camp Lejeune der größte Marine-Corps-Stützpunkt an der US-Ostküste ist, war es nur eine Frage der Zeit, dass er hier landen würde.

Für Hilary gab es keinen Zweifel, dass sie John folgen würde, auch wenn sie dafür ihre Zelte im gottverlassenen Jacksonville aufschlagen musste, dessen einziger Zweck darin besteht, rund 38.000 Soldaten ein zeitweiliges Obdach zu bieten. Ihre Ehe und die volle Unterstützung für ihren Mann haben oberste Priorität, der Job ist zweitrangig. So leitet sie heute Frauenbibelstunden und Kinderprogramme im sonntäglichen Gottesdienst der protestantischen Kirche des Camps. „Das ist zwar keine Herausforderung, aber es macht Spaß.“

„Ich steh auf Militär“

Sie erzählt von der Bedeutung religöser Erziehung, von der Zusammenarbeit mit den anderen Religionslehrern der insgesamt 19 christlichen und muslimischen Glaubensrichtungen, die im Camp vertreten sind. Sie betont, wie sehr ihr die Gemeinden helfen beim Wurzelnschlagen, wenn man so häufig umzieht, und wie sie manchmal etwas traurig ist, dass John nicht sehr religiös ist. In ihrem Büro stapeln sich Erweckungsbücher, Reisebibeln und Videos von Fernsehpredigern. Aus dem Fenster fällt der Blick auf das Militärgelände, das mit seinen backsteinfarbenen Gebäuden eher an einen Campus erinnert – wären da nicht die vielen uniformierten Männer, die auch bei Minusgraden ihre Körper stählen.

Man sitzt in ihrem Büro und wird die Frage nicht los, was eine intelligente Frau mit einem Abschluss in internationaler Politik einer renommierten Hochschule hier zwischen Jesusbildern und Schießplätzen macht. „Ich steh auf Militär“, gesteht sie freimütig. Sie mag Uniformen, Offiziersbälle, starke Männer und vor allem die Sicherheit. Gerade jetzt, wo die Wirtschaft schlecht läuft.

Gesundheitsversorgung und Rente – alles ist bestens geregelt. Selbst die Miete für ihr Haus wird gezahlt. Außerdem ist das Militärleben aufregend. Kontakt, können sie, wenn John fort ist, nur über Briefe halten, E-Mail gibt es nicht. Sie wird nie wissen, wo er sich gerade aufhält. „Wenn wir die Trennungen durchstehen, schaffen wir auch alles andere.“ Das Beste sei der Moment des Wiedersehens. „Nicht viele Paare haben diese Art des Hochgefühls.“ Und die Aussicht auf Krieg? „Es ist nun mal sein Job.“

Irgendwie freut er sich auf den Einsatz. Wer so lange trainiert, will auch den Praxistest. Aber eigentlich redet er nicht viel über die ganze Sache. Und Hilary kann sich ohnhin nicht vorstellen, dass John einen anderen Beruf ausüben würde. Auch wenn er nun in den Krieg ziehen muss, hat sie es nie bereut, einen Offizier geheiratet zu haben.

Trennung ist für Hilary daher vor allem eine Frage von Disziplin und Organisation. Natürlich kennt sie die menschliche Natur und ihre Hormone, sagt sie lachend. Aber sie käme sich schäbig vor bei dem Gedanken, dass John mit sechs Männern schwitzend in seinem Panzer eingepfercht sitzt. „Da mache ich mir doch hier keinen lustigen Abend.“ Neben Vertrauen sei ein guter Plan wichtig, was man tagsüber unternimmt und wie man seine überschüssige Energie loswird. Regel Nummer eins für sie: Freundschaften werden nur noch zu erotisch nicht bedrohlichen Männern gepflegt. Ansonsten wird sie sich alle zwei Wochen mit den zurückgebliebenen Frauen aus Johns Kompanie treffen. Zur Not muss der Offiziersfrauen- oder Frauengolfclub herhalten. Das Problem ist nur, dass sie dort mit kaum jemand über Politik reden kann. „Für anregende Gespräche muss ich ganz raus, am besten nach Washington.“

Beim Thema Außenpolitik redet sich Hilary richtig in Rage. Als eingefleischte Demokratin und „großer Fan von Bill Clinton“ lässt sie kaum ein gutes Haar an George W. Bush. „Wie kann man das Ansehen unseres Landes in nur einem Jahr so ruinieren!“ Seine Präventivschlagdoktrin lehnt sie ab, und einen Krieg gegen Irak findet sie schlicht „Schwachsinn“. Nordkorea stelle eine viel größere Bedrohung dar. Trotzdem sagt sie dann Sätze wie: „Dies ist Johns Karriere. Auch wenn ich nicht zustimme, was im Pentagon entschieden wird, muss ich ihn unterstützen und patriotisch sein.“ Ihre religiöse Haltung hat für diesen Spagat eine Antwort. „Wenn ich es streng christlich betrachte, dann ist er dazu berufen. Selbst wenn es zur Feindberührung kommt“, fügt sie hinzu.

Feindberührung ist der aseptische Ausdruck für töten oder getötet werden. Ihre und Johns Reaktionen auf den Tod schwanken zwischen geschulter Distanz und religiöser Rechtfertigung – und offenbaren dennoch ein seelisches Minenfeld. Sie empfinde Angst bei der Vorstellung, jemand könnte ihr mitteilen, dass John getötet wurde. Doch sie macht sich keine großen Sorgen, dass John von irakischen Soldaten getötet werden könnte, schon eher von den eigenen Leuten. Friendly fire heißt das und bedeutet einen unehrenhaften Tod. „Das ist eine Horrorvorstellung“, so Hilary.

Seelisches Minenfeld

Für John ist der Tötungsakt abstrakt. Er hofft, dass sein Panzer ausreichend Schutz bietet und dass mit der kleinen Bordkanone auf ferne Ziele geschossen wird. „Wenn ich jemanden mit dem Gewehr zu erschießen habe, dann ist irgendetwas schief gelaufen“, sagt er und klammert sich an die Hoffnung, es werde in der Wüstenschlacht alles so sein wie im Training.

Die Ausbildung der Marines gehört zu den härtesten. Nirgendwo sonst wird so viel Wert auf die individuelle Schulung gelegt. Schließlich müssen sie zuerst ihre Köpfe hinhalten, die ersten Brückenköpfe errichten und das eroberte Terrain so lange halten, bis die Armee mit schwerem Gerät einrückt. Vom Erfolg der Eliteeinheit hängt oft der weitere Verlauf militärischer Einsätze ab.

Hilary Kinitz weiß um das Risiko für ihren Mann. Aber sie macht trotzig Pläne für die Zeit danach, denkt an Kinder und hofft, bald nach Johns Rückkehr in ein Camp nahe Washington umzuziehen. Nur einmal hatte sie jüngst für einen Moment das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Da wurde den Offiziersfrauen mitgeteilt, sie sollten sich besser nicht auf ein Jahr Abwesenheit, sondern auf vier Jahre Stationierung im Irak einstellen.