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Archiv-Artikel

„Wir sehen keine Zerrüttung“

Sibyll Klotz und Volker Ratzmann, die neue Spitze der Grünen-Fraktion, bestreiten Startprobleme und Rivalitäten und fordern ein „Bündnis für Berlin“. Ein ausgearbeitetes Konzept dazu fehlt ihnen noch

Interview STEFAN ALBERTI

Nach dem Abgang des langjährigen Fraktionschefs Wolfgang Wieland bildet Volker Ratzmann seit drei Wochen mit Sibyll Klotz die Doppelspitze der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Für beide stimmten bei der Wahl nur 9 der 14 Fraktionsmitglieder.

taz: Sie sind gekommen, um zu demonstrieren, dass es zwischen Ihnen natürlich keine Rivalitäten gibt – anders, als wir es gehört und geschrieben haben.

Sibyll Klotz: Rivalitäten hat da nur die taz gewittert. Eigentlich sind wir heute hierher gekommen, um über politische Inhalte zu reden.

Sprechen wir also über Inhalte. Sie werfen dem Senat vor, keine Schwerpunkte zu setzen und alle sechs Monate eine neue Sau durchs Dorf zu jagen, wie jetzt bei der Hochschulfinanzierung. Wie sieht denn Ihr Weg aus der Misere aus?

Klotz: Berlin braucht erstens eine längerfristige Perspektive für die Haushaltskonsolidierung. Zweitens braucht die Stadt keinen Rasenmäher, sondern wirkliche Prioritätensetzung. Politik ist mehr als Sparen. Was fehlt, ist doch die breite politische Diskussion.

Volker Ratzmann: Wir brauchen ein Bündnis für Berlin. Wir müssen und wollen die Akteure zusammenbringen, die etwas für diese Stadt tun können.

Und Sie haben da schon ein ausgearbeitetes Konzept.

Ratzmann: Nein, kein ausgearbeitetes. Aber mit unserem Ansatz setzen wir auf die Potenziale der Stadt. Warum nutzt der Senat im Tarifstreit nicht die Fähigkeiten der Arbeitsrechtler in den Berliner Hochschulen, lässt die mal tiefer graben und macht ein richtiges Reformprojekt daraus?

Klotz: Die Chance für ein Reformprojekt „Berlin als Vorzeigestadt für einen modernen öffentlichen Dienst“ wird vertan. Warum gibt es keine Diskussion über eine grundlegende Renovierung des öffentlichen Dienstrechts? Wir wollen, dass Verdienste und Erfolge und nicht formale Ausbildung und Dienstjahre zählen.

Wer müsste in einem solchen Bündnis vertreten sein?

Klotz: Senat, Bezirke, Gewerkschaften …

Ratzmann: … und auch die Bundesregierung und -verwaltung. Der Mittelstand muss dabei sein, jemand aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir müssen den Blick öffnen und auch über den Tellerrand hinausschauen. Sowohl in den Niederlanden als auch in NRW ist man da viel weiter.

Jetzt doch noch mal zu Ihrer Wahl. Vor drei Wochen kamen nur Sie, Frau Klotz, im ersten Wahlgang durch. Alle anderen Vorstandsmitglieder brauchten mehrere Anläufe. Wie lässt sich auf so einer Basis arbeiten?

Ratzmann: Gut. Natürlich gab es durch den Rückzug von Wolfgang Wieland Erschütterungen und Unsicherheit. Ich sehe nun aber keine Zerrüttung in einer Weise, die die Arbeit des Vorstands unmöglich macht.

Das hört sich bei altgedienten wie neuen Abgeordneten anders an. Die Fraktion ist zerrüttet, heißt es da.

Klotz: Mein Erleben der letzten zwei, drei Wochen ist anders. Wir sind bei einer Arbeitsplanung, in der sich alle wiederfinden. Und ich habe nicht erlebt, dass wir damit vor verschlossenen Türen stehen.

Auch die Parteispitze wird in zwei Wochen nach dem Abgang von Regina Michalik zumindest ein neues Gesicht haben. Wer soll das sein?

Klotz: Der oder die …

Ratzmann: … mit den meisten Stimmen.

Wenn Sie so wenig festgelegt sind: Warum haben dann Sie, Frau Klotz, bei der Exabgeordneten Hilde Schramm, mit 66 Jahren Politrentnerin, wegen einer Kandidatur angeklopft?

Klotz: Ich habe nicht angeklopft, sondern in den vergangenen Monaten mit sehr vielen Leuten über potenzielle Kandidatinnen gesprochen. Unter anderem gab es ein Gespräch mit Hilde Schramm. Die ist übrigens Rentnerin, aber nicht Politrentnerin – das ist ein Unterschied. Jung zu sein allein ist genauso wenig Ausdruck politischer Qualität, wie älter zu sein ein Makel ist.

Wer auch immer die neue Doppelspitze bildet: Wo muss sie Akzente setzen?

Ratzmann: In den politischen Feldern, die für die Menschen in dieser Stadt wichtig sind: Arbeit, Bildung, Umwelt und soziale Gerechtigkeit. Wir müssen gemeinsam in die landespolitische Auseinandersetzung eintauchen …

Genau das, sagt Vorsitzkandidat Thomas Birk, habe der bisherige Vorstand nicht gemacht. Hat er Recht?

Ratzmann: Es geht um die Zusammenarbeit zwischen den Gremien von Partei und Fraktion. Da ist in den letzten Jahren zu wenig gelaufen. Der Austausch ist zwar im letzten Jahr verbessert worden – wir haben gut mit dem Landesvorstand zusammengearbeitet. Aber gut ist einfach noch nicht gut genug.

Zu solcher Verzahnung soll beim Parteitag das jüngste Nein zum Ende der Trennung von Amt und Mandat aufgeweicht werden. Abgeordnete sollen doch in einen erweiterten Vorstand dürfen. Sie schütteln den Kopf?

Klotz: Ich schüttel den Kopf bei „aufweichen“. Es gab eine Entscheidung, bei Amt und Mandat alles so zu belassen, wie es ist – ich hätte es mir anders gewünscht, respektiere das aber. Aber in einem zweiten Punkt sind sich alle Kreisverbände, alle Flügel – so es sie denn noch gibt – und Fraktionsvorstand einig: Wir wollen besser kooperieren, über einen erweiterten Vorstand. Wie der zusammengesetzt sein wird, ist noch nicht endgültig entschieden. Aber wenn der Antrag durchkommt, werden darin auch zwei Leute aus dem Fraktionsvorstand sitzen.

Für den Vorsitz kandidiert auch Almuth Tharan. Die ist bisher Kreisvorsitzende der Pankower Grünen, die als wenig integriert gelten. Wäre eine Landeschefin Tharan gleichbedeutend mit stärkerer Einbindung?

Klotz: Die Nummer „Wir sind ein kleines gallisches Dorf“, die läuft auf Dauer nicht – weder für die Pankower noch für den Rest des Landesverbands. Es sind auch eher einzelne Personen, die einen solchen Eindruck zu erzeugen versuchen. Im Kreisverband Pankow arbeiten eine Menge guter Leute, die wollen wir stärker einbinden.

Zählen Sie zu diesen Leuten auch Werner Schulz?

Klotz: Ja. Sicherlich ist manches in der Bundestagsfraktion anders gelaufen, als er es sich vorgestellt hat. Aber trotzdem ist er Berliner Bundestagsabgeordneter, auch noch mit einem Schwerpunkt Wirtschaft und Arbeit – und ich wünsche mir mit ihm eine intensivere Diskussion.

Regina Michalik, die scheidende Vorsitzende, begründet ihren Rückzug auch damit, man werde an der Parteispitze zur Müllabladestelle für alles und jeden. Stimmen Sie zu?

Klotz: Die Doppelspitze erlebt schon, dass sie für jedes Unrecht in diesem Landesverband nicht nur zuständig gemacht wird, sondern auch Ansprechpartner ist. Ich kann mir schon vorstellen, dass das auf die Dauer nervt. Auf der anderen Seite besteht die Aufgabe der Vorsitzenden darin, den Landesverband zu führen, manches wegzusortieren und sich nicht für alles und jedes selbst zuständig zu machen.

Ihre Kölner Parteifreunde haben jetzt eine Koalition mit der CDU vereinbart. Sie beide lehnen Schwarz-Grün ab – da haben Sie doch sicher auch Ihre Kölner Kollegin Barbara Moritz angerufen und ihr abgeraten.

Ratzmann: Ich nicht.

Klotz: Ich auch nicht. Warum?

Um sie von einem Tabubruch abzuhalten, als den auch Moritz diesen Schritt sieht.

Ratzmann: Wir sind immer von der Berliner CDU ausgegangen und haben gesagt: Das ist nicht die Formation, mit der man Reformen umsetzen kann, die die Stadt braucht. Zudem gibt es grundsätzliche Unterschiede, vor allem bei der Innenpolitik.

Die gibt es auch in Nordrhein-Westfalen mit einem CDU-Chef Rüttgers, der „Kinder statt Inder“ gefordert hat.

Ratzmann: Natürlich müssen die Kölner sich das sehr gut überlegen, wie man in einem kommunalen Raum mit einem kommunalen Regierungskonzept mit der CDU zusammenarbeiten kann.

Was in Berlin nicht geht?

Ratzmann: Die CDU ist sicherlich im Wandel, aber keiner weiß, wohin. Es gibt aber nach wie vor Politikfelder, wo ich keine Gemeinsamkeiten sehe. Ich würde aber nie sagen, dass ich mit der CDU nicht reden würde. Das werde ich mir immer offen halten.

„Wir sind immer von der Berliner CDU ausgegangen“ – bezieht sich das auf das Führungspersonal oder die Parteibasis?

Klotz: Auf beides. Stellen Sie sich mal vor, Herr Schönbohm würde unter Schwarz-Grün Innensenator. Und ich glaube nicht, dass eine liberale Innenpolitik von der Mitgliedschaft der CDU mitgetragen würde. Sehen wir doch mal, wie lange Herr Steffel noch Fraktionsvorsitzender ist, gucken wir mal, ob die, die Schwarz-Grün immer wollen, auch mal was dafür tun.

Ratzmann: Wir werden etwa beobachten, welche Rolle die Berliner CDU in der Auseinandersetzung um das Zuwanderungsgesetz spielt. Da soll sie doch zeigen, ob sie es ernst meint und sich vielleicht auch gegen ihre Bundespartei stellt.