: Der neue Keynes
In Paul Krugmans aktuellem Buch „Nach Bush: Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten“ heißt es im Klappentext, er gelte „seit Jahren als Anwärter auf den Wirtschaftsnobelpreis“. Warum Krugman ihn bisher nicht bekommen hatte, wird dort auch vermutet: „Sein politisches Engagement dürfte einer Vergabe des Preises an ihn aber ihm Wege stehen.“ Nun hat der 55-jährige US-Ökonom ihn doch bekommen – vielleicht gerade wegen seiner linksliberalen, keynesianischen Positionen. Im Gegensatz zu den anderen Nobel-Preisen geht die Auszeichnung nicht auf das Testament des 1896 verstorbenen Preisstifters Alfred Nobel zurück, sondern wurde erst 1968 von der Schwedischen Reichsbank geschaffen. Er soll den wissenschaftlichen Einsatz zugunsten der Menschheit fördern. TAZ
VON ROBERT MISIK
Dass die Vergabe des Friedens-, oder die des Literaturnobelpreises meist ein politisches Statement ist, daran hat man sich ja schon gewöhnt. Für den Wirtschaftsnobelpreis gilt das bisher auf weniger ostentative Art. Dass nun der US-Ökonom Paul Krugman ausgerechnet auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise und einen Monat vor dem Ende der Ära Bush den Preis zuerkannt erhält, hat erhebliche symbolische Bedeutung.
Denn Krugman hat seit Jahren vor den Gefahren der US-Immobilienblase gewarnt. Und er ist einer der schärfsten Kritiker von US-Präsident George W. Bush. Erst im Frühjahr erschien – auch auf deutsch – sein Buch „Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten“. Als er damals im taz-Interview voraussagte, der Immobilienkrach könne sich zu einer „schwerwiegenden Krise“ auswachsen, konterte er den Einwand, man werde ihn jetzt wieder des üblichen „linken Pessimismus“ zeihen, mit Sarkasmus:
„Oh, das sagen sie immer. Als ich darauf hinwies, dass wir eine riesige Immobilienblase haben, haben sie gemeint, das sage ich ja nur, weil ich Bush hasse. Jetzt weiß jeder, dass ich recht hatte. Das war die größte Immobilienblase in der amerikanischen Geschichte und es ist absurd zu sagen, dass das keine gefährlichen Auswirkungen hat.“
Können Sie mal erklären, warum eine Krise des Immobilienmarktes und in der Folge der Kreditmärkte notwendigerweise zu niedrigerem Wachstum und geringerer Beschäftigung führen muss?
„Nun, dafür gibt es grob gesagt drei Gründe. Erstens: Es wird praktisch nichts mehr gebaut und darunter leidet die Bauwirtschaft. Die beschäftigt Millionen Menschen. Zweitens: Es ist gerade in den USA sehr üblich, dass die Menschen Hypotheken auf ihre Häuser aufnehmen, um sich andere Dinge zu kaufen. Diese Möglichkeit ist jetzt sehr eingeschränkt, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Konsumnachfrage. Oftmals haben die Leute jetzt Schulden, die den Wert ihrer Häuser übersteigen. Drittens: Für die Versicherungsinstitute ist das ein schwerer Schlag, weil es sehr, sehr viele Leute geben wird, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, was die Kreditversicherer trifft. Das führt zu einer schwierigen Lage auf den Kapitalmärkten.“
Es gibt kaum einen Ökonomen auf der Welt, der mit so viel Sachverstand und schriftstellerischem Witz zugleich die Sache des Egalitarismus zu vertreten vermag. Gemeinsam mit Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger des Jahres 2001, ist er wohl der einflussreichste Keynesianer unserer Zeit. Und er ist ein streitbarer Popularisierer, fast so etwas wie ein klassenkämpferischer Ökonom: Er nützt seine regelmäßige Kolumne in der New York Times ebenso wie seinen Blog auf der Website der Zeitung fast mit ein bisschen Besessenheit, um den Kampf gegen neoliberale und neokonservative Ideologen zu führen. An manchen Tagen, wenn Krugman seinen Blog drei, viermal mit komplizierten Abhandlungen vollschreibt, fragt man sich, wie er es schafft, noch Zeit für etwas anderes zu finden. Alleine am vorgestrigen Sonntag verfasste er fünf Blog-Einträge.
Für diesen Montag findet sich nur eine lapidare Notiz: „Eine interessante Sache ist mir heute morgen geschehen …“. Dann gibt es einen Link zum schwedischen Nobelpreis-Komitee.
Als Ökonom war Krugman vor allem mit Studien zur Handelstheorie und der Wirtschaftsgeografie hervorgetreten. Arbeiten, für die er nun offiziell mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Krugman, Spross einer jüdischen Familie mit weißrussischen Wurzeln, studierte am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und ist nach Stationen in Yale, London, Stanford und anderen nunmehr Professor an der Princeton University.
Krugmans streitbare Äußerungen lösten oft aber auch Kontroversen aus. Als Gegner der Neokonservativen in der amerikanischen Debattenlage, die seit Jahren weniger einem Florettkampf als einem Grabenkrieg ähnelt, hatte er durchaus gelernt, dass es nicht immer darauf ankommt, akkurat zu argumentieren, sondern vor allem darauf, seine Widersacher zu besiegen. Kaum jemand hat so viel wie Krugman zur allgemeinen Verbreitung des lapidar dahingesprochenen Satzes des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain beigetragen, der sagte, er verstehe nichts von Ökonomie.
Kritiker haben Krugman auch schon mal einen – in diesem Sinn – etwas zu zweckorientierten Umgang mit statistischen Daten vorgehalten. Zuletzt sorgte er im Frühjahr für kontroverse Diskussionen, weil er als eingeschworener Unterstützer von Hillary Clinton deren Rivalen Barack Obama fortgesetzt dafür geißelte, dass er keinen Plan für eine gesetzliche allgemeine Gesundheitsversicherung in den USA vorlegte – im Gegensatz zur Senatorin aus New York. Er sei da, sagte er, „ziemlich über Kreuz mit vielen meiner Freunde und Bekannten. Alle finden Obama so toll, weil er so schön redet, dass das Land den Wandel, den Change, braucht. Und er ist bestimmt ein klasse Kerl, aber ob er genug Ideen und genug Biss hat? Frau Clinton hat sehr viel mehr Erfahrung.“ Mittlerweile hat der Realist Krugman seinen Frieden mit dem Obama-Lager gemacht.
Sein jüngstes Buch ist ein Pamphlet, mit viel Verve geschrieben, für einen neuen „New Deal“, für einen neuen „Moment“ für den amerikanischen Linksliberalismus. Das Ende der Bush-Ära, das ideologische Desaster der Neokonservativen, das erwartbare Debakel der Republikaner nicht nur bei der Präsidentschaftswahl, sondern auch bei den Kongresswahlen, könnte einem künftigen demokratischen Präsidenten eine Machtbasis verleihen, wie sie kein progressiver Politiker mindestens seit Lyndon B. Johnson vorgefunden hat. Und dies eröffne die Chance für einen abermaligen Kurswechsel, so Krugman.
In der modernen amerikanischen Geschichte gab es, so führt er aus, „zwei große Bögen – einen wirtschaftlichen Bogen von großer Ungleichheit zu relativer Gleichheit und zurück“ zu mehr Ungleichheit. Die Progressiven, die Amerika „gleicher“ gemacht hätten, hätten das Land aber auch stärker gemacht. Krugman unterstreicht mit Überzeugungskraft, dass egalitärere Gesellschaften nicht nur gerechter, sondern auch leistungsfähiger seien als ungleichere. Die Zeit, in der auch in den USA ein wohlfahrtsstaatlicher Konsens herrschte, war nicht nur durch die Entstehung eines breiten, stabilen Mittelstandes gekennzeichnet, sondern auch durch bisher unbekannte Wohlstandsgewinne. Allerdings, so Krugman, wurden die Reichen wirklich ärmer, während die Unter- und Mittelschichten gewannen.
Dass das egalitäre Amerika seit den 70er-Jahren zerstört wurde, gehe auf eine ideologische Strategie zurück, die die Strömung der „Neokonservativen“ seit den 60er-Jahren verfolgte. Doch jetzt gebe es eine Chance, dass die Tendenz wieder in die andere Richtung geht.
Man müsse sich vor allem von einer Auffassung verabschieden, die auch in progressiven Zirkeln vorherrsche: dass der „fordistische Kapitalismus“, der die Gangsterkultur des Raubritterkapitalismus abgelöst habe, gewissermaßen automatisch eine Gleichheitskultur gefördert habe, wohingegen der „postindustrielle“, zeitgenössische Kapitalismus wieder nahezu naturgemäß zu mehr Ungleichheit führe.
Alles nicht wahr, sagt Krugman: „Mittelschichtgesellschaften entstehen nicht von selbst mit der Reifung einer Volkswirtschaft, sondern müssen durch politisches Handeln geschaffen werden.“ Es war nicht die „kapitalistische Entwicklung“, es waren Liberale, die es durch entschlossenes Handeln und indem sie die konservativen Kräfte besiegt haben, schafften, „die Ungleichheit der Einkommen erheblich zu verringern, mit fast ausschließlich positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt.“ An diesen Männern und Frauen sollten sich „die Liberalen von heute ein Beispiel nehmen, wenn sie lernen wollen, was politische Führung zu bewirken vermag“.
Jetzt ist Krugman Nobelpreisträger, aber das wird ihm nicht reichen. Längst kandidiert er für die Rolle des neuen Keynes. Er bringt einiges mit, was an den britischen Jahrhundertökonomen erinnert – nicht zuletzt die Lust, den öffentlichen Meinungsstreit auf allen Kanälen zu führen. Und noch eine frappierende Parallele gibt es: Keynes Aufstieg begann, als ein spektakulärer Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte einen Paradigmenwechsel auslöste.
Das Ende der Privatisierungsideologie in diesen Tagen, in denen Bankenverstaatlichungen plötzlich wieder die normalste Sache der Welt werden: es ist Krugmans Moment.