piwik no script img

Das Alte striegelnagelneu

Rekonstruktion ist schön. Aber immer auch Simulation, denn fast jeder Stein ist neu. Neuester Fall: ein gerade vollendetes Mietshaus im Schanzenviertel, das im schönsten Jugendstil wieder erstand

Die Flucht vor der Gegenwart in die Ästhetik der Vergangenheit muss vergeblich bleiben

Von MAXIMILIAN PROBST

Dresden hat seine Frauenkirche, Hannover sein Herrenhaus, Berlin und Braunschweig haben Stadtschlösser, die schon stehen oder gerade wieder erstehen. Und Hamburg hat – ja, auch Hamburg hat es in die Riege der Rekonstrukteure geschafft: ohne viel Aufhebens zu machen und hanseatisch ganz bescheiden mit einem Jahrhundertwendemietshaus.

Das Haus steht an der Ecke Schulterblatt / Juliusstraße, angrenzend an die Rote Flora und im größtmöglichen Kontrast zu ihr. Denn während das alte Theater vor sich hinbröckelt, glänzt der ins Rötliche hinüberspielende Klinkerbau jetzt umso heller. Und wo die Flora mit ihrem fehlenden Obergeschoss stumpf unterm Himmel steht, zieht man nebenan alle klassischen Register: Über der Traufe erheben sich Erker mit Rundfenstern und zierlichen Giebeln, und die fein modellierten Schindeln krönt verspielter Schmuck. Der Blick aufs Dach – von dem aufwendigen Balkonen und Fassadenstuck gar nicht zu reden – reicht aus, um zu sagen: Das Haus ist eine Augenweide.

Aber was soll das Ganze? Wird hier wieder einmal Geschichtsklitterung betrieben? Einige wichtige Unterschiede zu den bekannteren Rekonstruktionsfällen müssen hier herausgestellt werden. So wurde im Schanzenviertel kein jüngeres Gebäude abgerissen, damit man Rudimente des Vorgängerbaus rekonstruieren konnte. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Hälfte des Hauses weggebombt; am Schulterblatt blieb das Erdgeschoss erhalten, in dem zuletzt ein beliebter türkischer Grill-Imbiss residierte. Der wird in Kürze wieder einziehen.

Anders als in Hannover, Berlin und Braunschweig hat sich die Rekonstruktion des Hamburger Stadthauses auch nicht auf die Fassade beschränkt. Anhand der alten Baupläne hat man auch das Treppenhaus und die Wohnungen in ihrer ursprünglichen Gestalt wiedererstehen lassen. Durch den erhaltenen Teil des Gebäudes an der Juliusstraße ließen sich schließlich Stilelemente wie Deckenstuck oder die Verkachelung der Badezimmer kopieren.

Das Gebäude sieht aber nicht nur so aus wie früher, sondern dient auch demselbem Zweck. Es war und bleibt ein Mietshaus und so bleibt der Hamburger Rekonstruktion das lächerliche Schicksal des Braunschweiger Schlosses erspart: Ein neues Produkt mit großem Kraftaufwand in eine völlig unpassende Schachtel zu pressen.

Verantwortlich für die Rekonstruktion ist ein privater Bauherr, der die Presse meidet. Von den Architekten war zu hören, dass er keinen Aufwand und keine Kosten für den Bau gescheut habe. Der Klinker ist eine Sonderanfertigung. Mehrere Probebrände brauchte man, um zur Farbe und Beschaffenheit des alten Steins zu gelangen. Wirtschaftlich rechnen, sagen die Architekten, wird sich die Rekonstruktion ganz bestimmt nicht. Dem Bauherrn, der über 80 ist, gehe es ausschließlich um die Sache: um die ursprüngliche Schönheit des Stadtbildes im Schanzenviertel. Hier wäre zu ergänzen, dass hinter dem Wunsch nach malerischer Schönheit, insbesondere einer überlebten Schönheit, auch immer Kritik am Werk steht: Meistens steht dahinter die Wut über die Zumutung der Moderne, die Suche nach hergebrachter Identität, nach Halt in der Geschichte.

So verständlich dieser Wunsch, so vergeblich ist er aber. Vielleicht kann die Rekonstruktion die ungeliebte Gegenwart für kurze Zeit verdrängen helfen. Wie alles Verdrängte wird sie danach allerdings nur umso unerbittlicher ihr Tribut einfordern. Darum kann die Antwort nur heißen: Aus dem Geist des Alten sich am Neuen versuchen. Wer dann noch keine Kosten scheut, wird Bauten errichten, die es mit dem geliebten Jugendstil aufnehmen könnten.

Und noch ein weiterer Makel lässt sich bei der Rekonstruktion des Stadthauses nicht übersehen: Es ist eine Simulation. Das Alte tritt uns in ihr nagelneu entgegen. Was den Anblick des Alten sonst so wertvoll macht; dass der Mensch ein Gefühl für die Hinfälligkeit der Dinge gewinnt, dass es Dinge gibt, die schon vor ihm waren, die über ihn hinausweisen: diese metaphyische Erfahrungsmöglichkeit ist aus den Rekonstruktionen getilgt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen