: Was kann der Roman?
Editorial
Tja, gute Frage.
Hüpfen kann der Roman jedenfalls nicht und auch nicht die weltweite Finanzkrise lösen, die SPD retten (oder die CSU oder die Grünen), das Herbstwetter beeinflussen oder die Welt erlösen (auch wenn das immer noch manche Menschen meinen). Überhaupt: Wieso eigentlich der Roman? Es gibt doch so viele verschiedene davon, historische Romane, Familienromane, Science-Fiction-Romane, Liebesromane, Bildungsromane, Gesellschaftsromane, Popromane, Unterhaltungsromane und so weiter. Also, es gibt bestimmt viele gute Gründe, die Frage, was der Roman kann, für ein bisschen seltsam zu halten.
Wir haben sie dennoch den in dieser Beilage vertretenen Literaturkritikern gestellt. Wir haben sie gebeten, in ihrer Kritik von aktuellen Neuerscheinungen immer die grundsätzliche Frage mitlaufen zu lassen, was gerade dieser Roman kann, was man für einen Gewinn davon hat, gerade ihn zu lesen, was er bewirkt, was er mit einem als LeserIn macht. Implizit stellt man diese Fragen selbstverständlich immer mit, wenn man eine Literaturkritik schreibt; aber die Idee war, dieses Implizite ruhig einmal explizit zu machen.
Hintergrund: Viele lange eingeübte Antworten zu dieser Frage scheinen derzeit ein wenig hohl geworden scheinen. Ganz routiniert wird jede Saison von der Literaturkritik wieder das Etikett „Meisterwerk!“ herausgehauen. Auch ist das sogenannte gute Buch längst zu einer Art Fetisch geworden, man begehrt und beschwört das „Leseabenteuer“ oder die „sinnliche Sprache“ oder den „großen Gegenentwurf zu unserer Gesellschaft“ – und dagegen ist auch gar nichts zu sagen. Nur dass man solche Zitate, wenn man sie zu oft als Verkaufsanreiz auf den Buchcovern findet, als ziemlich beliebig empfinden kann. Und diese Politikerreden, wie wichtig gerade das Lesen in unserer Bildungsgesellschaft sei, kann ja sowieso keiner mehr hören.
So. Genug aufgeplustert. Jedenfalls: Wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie in dieser Beilage auf Neben- oder Metabemerkungen stoßen, die aufs Prinzipielle zielen. Eins noch: Diese Beilage erhebt selbstverständlich nicht den Anspruch, alle Antworten zu dieser Frage zu präsentieren. Sie bietet eine Auswahl, was auch sonst? Immerhin erheben wir durchaus den Anspruch, dass es eine gute Auswahl ist. Aber lesen Sie selbst! Stefan Mahlke aus dem Korrektorat der taz hat in die Besprechungen Zitate aus der Weltliteratur eingestreut.
Türkei gibt es in dieser Beilage selbstverständlich auch, ist schließlich Schwerpunktland dieser Frankfurter Buchmesse. Vor allem aber ist wirklich eine Menge los bei diesem Thema, sowohl literarisch als auch auf dem Sachbuchsektor. Endlich mal ein Messe-Schwerpunkt, der genau zum richtigen Zeitpunkt kommt! Gibt es ja auch nicht jedes Jahr. Auf jeden Fall liefert diese Beilage Überblicke, Interviews und Besprechungen.
Politische Bücher schlagen wir freilich auch vor. Die können ja manchmal eine Art Orientierungshilfe sein. Einer Kritik am Bestehenden bedarf es immer, zumindest wenn man davon ausgeht, dass das Bestehende nicht genug ist. Gesellschaften lassen sich auch danach beurteilen, wie sie mit Abweichung und sozialer Kontrolle umgehen. Dieses Thema wird Ihnen deshalb in dieser Beilage öfter begegnen. Aber auch etwa die einfache Frage, warum der Mensch überhaupt sesshaft wurde.
Viel Spaß beim Lesen!
DIRK KNIPPHALS, TANIA MARTINI