: Klaustrophobische Garage
Gregor Schneider spielt mit Extremsituationen, erdichtet undichte Kopien und baut Räume einfach an anderen Plätzen wieder auf: Nicht ganz retrospektive Ausstellung in der Kunsthalle
von PETRA SCHELLEN
Wenn man einen Raum aus der Erinnerung nachbaut und dabei ein fast exaktes Ergebnis zeugt: Ist das schon ein Klon? Oder der mühsam kaschierte Versuch, Unterschiede zu verbergen und zugleich sichtbar zu machen?
„Es geht Gregor Schneider um genau diese Unschärfe“, sagt Frank Barth, Kurator der Ausstellung Gregor Schneider – Hannelore Reuen, die morgen in der Kunsthalle eröffnet wird. Zwei Latrinen-artige Installationen stehen da zum Beispiel nebeneinander, mit Zeitverschiebung gebaut. Die eine ist ein bisschen höher, ein bisschen breiter – Leerstellen, die die Erinnerungsarbeit mit sich brachte, „obwohl Schneider ein enormes fotografisches Gedächtnis hat“, sagt Barth.
Eine Fähigkeit, die dem 1969 geborenen Künstler auch beim Bau der Doppelgarage zugute kam – eines White Cube, der einen Raum im heimischen Rheydt kopiert, wo Schneider seit 1985 das Haus Ur umbaut. Auch das Tor der Kopie lässt sich selbstverständlich schließen, „aber auch von meinen Kollegen haben sich nur wenige getraut, sich darin einzuschließen“, berichtet Barth.
Vielleicht, weil die Garage ein so klassischer Ort banalster Normalität und extremster Verbrechen ist. Ein archetypischer Ort samstagnachmittäglicher Langeweile und extremster Selbstmorde, in seiner Klaustrophobie erinnernd an das Haus Ur, für dessen Nachbau Schneider 2001 auf der Venezianer Biennale den „Goldenen Löwen“ bekam: Mehrfach von innen verschalt hat Schneider das Haus, hat zwischen den Schichten enge Gänge gelassen und diese auf Video gebannt. „Gregor Schneider interessieren Extremsituationen“, sagt Barth, „unter anderem die Frage, ob ein Außenstehender spüren könnte, in welcher der hier gezeigten, total isolierten Kisten‘ ein Mensch sitzt.“
Ein bisschen esoterisch mutet das an, aber Barth hegt keine Furcht vor solchen Deutungen. „Das ist doch gerade das Interessante, diese fast schon tempelartige Situation eines geschlossenen Raums, der an nie betretene Areale des ,Allerheiligsten‘ erinnert. Nächste Frage: Sind solche Räume von sich aus auratisch aufgeladen, werden sie es erst durch den Besucher – und welche Rolle spielt das Verhältnis von Original und Kopie? Bekommt die Garage erst durch die Besucher Atmosphäre? Ich glaube schon“, betont Barth, „und die Frage nach Original und Fälschung ist für mich irrelevant.“
Das ist sie auch für Gregor Schneider – doch der laboriert lange an den minimalen Verschiebungen, die die ungenaue Erinnerung ebenso wie die elliptische Erdumdrehung und die Heisenbergsche Unschärferelation offenbart: ein naturwissenschaftlicher Ansatz letztlich, eindrücklich empirisch belegt. Zwei Videos, aufgenommen im Rheydter Haus Ur und dem Venezianer Nachbau – zu sehen wie fast alle Installationen im Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart – offenbaren den zeitlichen Versatz zwischen Original und Nachbau, die ganz eineiig eben doch nicht sind.
Doch auch diesen Unterscheidungsversuch konterkariert Schneider sofort: Selbstverständlich sind beide Versionen vom Künstler gebaute Originale – nur kam das eine eben früher zur Welt. Schließlich existierte auch der Steindamm in St. Georg lange, bevor das für die Kunsthalle gefertigte White-Cube-Konstrukt in der Rotunde entstand: Naturgetreu hat Schneider hier die Straßensituation in St. Georg simuliert und ins Innere der Installation weitergeführt. 24 Stunden lang wird der tageslicht- und außentemperaturabhängige Raum begehbar sein: eine perfekte Simulation, die die Definiton von „innen“ und „außen“ minutenweise völlig unmöglich macht.
Gregor Schneider – Hannelore Reuen: Eröffnung mit Performance: Donnerstag, 19 Uhr, Kunsthalle. Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 11.5.