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Archiv-Artikel

berliner szenen Frittierter Karton

Traditionsbewusst essen

Wir sind völlig verhungert und müde und mitten in Kreuzberg, gehen also auf Nummer Sicher, ins Morena, lecker Lammburger essen, Leute beobachten und gedankenverloren in den vielen Zeitungen blättern. Weil es draußen knallkalt ist und leider noch viel zu früh für einen Grog, bestellen wir zum Lammburger Yogitee. Die hübsche Bedienung mit den vielen Locken starrt uns sieben Sekunden lang verständnislos an. Endlich schlussfolgert sie, dass es nur Kräutertee gebe.

Als der Lammburger nach zwanzig Minuten doch noch eintrifft, sehen die Pommes verdächtig blass aus. Sie sind noch kalt. Wir lassen die lockige Bedienung beißen, sie sagt „bäh“, legt ihre angebissene Fritte in den Aschenbecher und wirft uns ein charmantes Lächeln zu – ihre Grübchen sind wirklich herzzerreißend. Sie dreht sich schwungvoll um und geht zurück zum Tresen, um ihr Schwätzchen fortzusetzen. Ich laufe ihr mit meinem Teller hinterher und sage ihr, dass ich das nicht essen kann. Sie schlägt vor, dass ich den Burger, der in den Pommes versunken ist, ohne Pommes essen soll und sie mir neue Pommes bringt. Ich gehe also zurück zum Tisch und beiße in den Burger. Der schmeckt nicht nach Lamm. Ich klappe ihn auf und betrachte sein Innenleben. Es sieht aus wie Umzugskarton.

Ich gehe also wieder zur Bedienung und frage sie, was das sei. Sie kichert fröhlich und sagt: „Keine Ahnung.“ – „Aber ein Lammburger ist es nicht, oder?“ – „Da muss ich den Koch fragen.“

Der vermeintliche Lammburger entpuppt sich als Veggieburger. Es ist fast eine Stunde verstrichen, bis ich meinen Lammburger mit heißen Pommes auf den Tisch bekomme. So ist das, wenn man mal ein Berliner Traditionslokal aufsucht und sichergehen will. SUSANNE MESSMER