: Kleine Revolution
Dennis Hopper hat Bush gewählt – und stellte auf der Berlinale eine Dokumentation über sein Leben vor
Während drinnen Dennis Hopper in der Dokumentation „Dennis Hopper: Create (Or Die)“ über seine Exzesse und Kämpfe spricht, findet der eigentliche Kampf draußen statt. Im Vorhof des neu eingerichteten „Talent Campus“ im Haus der Kulturen der Welt, wo es genauso knüppelvoll ist wie überall auf dieser Berlinale, dreht ein Wartender durch. „Unverschämtheit“, schreit er die Offiziellen an, wild gestikulierend brüllt er seine Leidensgeschichte über den ganzen Campus – 40 Minuten warten, um dann nicht mehr reingelassen zu werden – und zieht dann fluchend ab.
Ein paar Meter weiter aber, direkt vor der Saaltür, hinter der Ariane Rieckers und Henning Lohners Dokumentarfilm bereits läuft und Dennis Hopper danach höchstpersönlich mit Wim Wenders ins Podiumsgespräch kommen soll, wird es gerade erst spannend. Eine kleine Rotte von gut zwanzig Journalisten und Filmemachern begehrt vor drei Ordnungskräften und einem Organisator Einlass in die laufende Vorführung. Einige von ihnen hatten den Fehler begangen, ihren Platz im Saal nochmal kurz zu verlassen, und kommen nun ebenso wenig hinein wie die anderen, die kampfeslustig grummelnd Akkreditierung und Eintrittskarte aufgepflanzt haben. Mehre Minuten wird verhandelt. Nein, wiegelt der freundliche Offizielle standfest ab, er würde ja, aber leider …
Es geht längst nicht mehr um Hopper oder Wenders, von denen man sich eh nichts Großartiges erwartet, sondern um uns selbst. Auch wenn da drinnen Joseph Vilsmaier über Stalingrad salbadern würde: Jetzt wollen wir rein! Und weil sich Filmvolks Zorn nun immer lauter und polyglotter erhebt, gelingt dann auch – ja, ja, das würde Hopper sicher gefallen – die kleine Revolution. Gegen alle Berlinale-Regeln werden wir mit klaren Kommandos, dem letzten Rest von Autorität im Chaos, ins Saalinnere geführt.
Endlich drinnen, erzählt uns der Star mit Zigarre von der Leinwand herunter, wie das genau war mit seiner Revolution in Hollywood und mit dem Rausch. 28 bis 38 Dosen Bier am Tag, später Rum, und schon mal nackt auf einem mexikanischen Highway delirieren mit einem Stein in der Hand. Wir sehen ihn in seinen Filmen, vor seinen Gemälden und Fotografien, hören ihn seine Werke und sein Leben kommentieren. In Zwischenschnitten erklärt David Lynch, Ideen seien Gedanken in Saatform, und Wim Wenders bilanziert: „Er ging sehr weit im Spielen und mit den Drogen.“
Nach weiteren Rückblicken, Drehberichten und Bekenntnissen – „Als ich trocken war, merkte ich: Meryl Streep, De Niro, Al Pacino, Dustin Hoffman, die nehmen alle keine Drogen und sind trotzdem ganz gute Schauspieler“ – geht das Licht an, und wir warten auf die Menschwerdung des Protagonisten. „Unsere Helden“, informiert eine Verantwortliche am Saalmikro, seien „auch nur Menschen“ und darum noch mal kurz raus, kämen „aber in zwei Minuten“ wieder. Tatsächlich jedoch scheinen „unsere Helden“ keineswegs „auch nur Menschen“ zu sein, denn Hopper und Wenders stehen schon am Bühnenrand und beginnen nach ein paar Fotoposen sogleich das Gespräch.
Letzteres sollte eigentlich die italienische Filmkritikerin Irene Bignardi moderieren, aber da ist Dennis Hopper vor. Galant und mit dem Recht der Älteren auf selektives Gehör übergeht er ihre Einstiegsfrage und widmet sich seinerseits dem alten Kumpel Wim: „Sag mal, wann hast du eigentlich beschlossen, Filmemacher zu werden?“ Mit der später selbstredend noch eingehend und tiefsinnig begründeten Antwort: „Nach meinem vierten Film!“, sichert sich Wim Wenders die ersten zarten Lacher, und die Dinge nehmen ihren Lauf. Ähnlich der Dramaturgie des vorangegangenen Films werden Anekdoten mit persönlichen Erkenntnissen flankiert; Wenders spricht vom „Wachsen am eigenen Scheitern“, und Hopper erinnert daran, dass natürlich „jeder Film Anfang, Mitte und Schluss“ habe, nur eben „nicht in dieser Reihenfolge“.
Kurz bevor sich dann alles in Wohlgefallen, Schulterklopfen und Ratschlägen an junge Filmemacher auflöst, wird Hopper aus dem Publikum gefragt, ob es stimme, dass er George W. Bush gewählt habe. „Sie haben Recht, ich habe für Bush gestimmt“, kommt die souveräne Antwort, „aber das ist nicht der Moment, diese Frage hier zu vertiefen. Oder wollen Sie das?“ Nein, das wollen wir nicht.
JAN DISTELMEYER