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Archiv-Artikel

„Das ist doch ein diplomatisches Spiel“

Das deutsche Veto im Nato-Rat, die Türkei im Kriegsfall zu unterstützen, beunruhigt Berliner Türken nur wenig

Die junge Frau hinter dem Tresen im türkischen Delikatessenladen guckt erschrocken von ihrem Teller auf. Nein, sie habe nichts von den jüngsten Entwicklungen bei der Nato gehört. Am Montag hatten Belgien, Frankreich und Deutschland ihr Veto gegen Planungen zur Verteidigung der Türkei im Falle eines Irakkriegs eingelegt. Interessieren würde sie das schon, doch sie habe keine Zeit dafür. An der Eingangstür hängen Plakate, die zum Antikriegsdemo am Wochenende aufrufen.

Eine ältere Türkin mischt sich in das Gespräch ein. „Saddam und der US-Präsident sollen sterben. Dann ist das Problem gelöst“, regt sie sich auf. Sie gehört zum Mainstream der Türken in Berlin, der sich über die Situation im Irak den Kopf mehr zerbricht als über den Streit innerhalb des westlichen Bündnisses. Auf das Veto in der Nato angesprochen freut sich die Mittfünfzigerin mit den Worten: „Sehr gut. Super!“ Die Türkei trage die Verantwortung der Opfer des letzten Golfkrieges. Wenn die türkische Regierung damals die Verbündeten nicht ins Land gelassen hätte, hätten diese sich nicht getraut den Irak anzugreifen, glaubt sie.

Erhan, der in einem Zeitungskiosk arbeitet, ist gut informiert über den Stand der Dinge. Er lese ja nicht nur türkische, sondern auch deutsche Zeitungen, meint er: „Alle schreiben so, wie es ihnen passt.“

Es ist tatsächlich auffallend: Die türkischen Medien kommentieren den Vorfall im Nato-Rat kaum. Die Zeitungen aus Istanbul beschäftigen sich zwar mit der Krise im Bündnis. Aber das Veto regt fast niemanden auf. Offenbar fühlen sich die Türken nicht sonderlich im Stich gelassen. Auch Erhan ist sicher, dass die westlichen Verbündeten der Türkei zur Hilfe eilen würden, wenn denn tatsächlich eine Gefahr bestünde. „Aber in dieser Phase wollen sie das nicht offen sagen. Das sind diplomatische Spielchen“, stellt er fest.

Eine alte Frau mit traditionellem Kopftuch kann dagegen keinen kühlen Kopf bewahren. Sie schimpft laut. Aber nicht über die Verbündeten. Die Frage zu den Ereignissen in der Nato versteht sie nicht einmal. Was solle sie dazu sagen? Die Regierung in Ankara sei zu einem Sklaven der USA geworden. Dann jammert sie über die innenpolitischen Entscheidungen der türkischen Regierung und ist nicht mehr zu stoppen.

Aber es gibt auch die Meinung, dass es in Brüssel nicht um die Türkei ging – besonders unter sozialdemokratisch geprägten Türken. Einer analysiert nüchtern: „Die Amerikaner haben die EU geteilt, daraufhin die Deutschen die Nato.“ Dass dieser Streit einen Nebeneffekt in der Türkei haben könnte, besorgt trotzdem einige. Sie fürchten, dass das Land sich allein gelassen fühlen und eine andere Bündnisalternative suchen könnte. Eine Schreckensvision vor allem für die Laizisten am Bosporus.

Der Arbeiter Ecir scheint mit seinen Gefühlen allein zu sein. Er vertraut dem Land, in dem er seit 23 Jahren lebt, schon lange nicht mehr. „Das ist ein Trick Deutschlands“ sagt er, „Aber diese Haltung habe ich von Deutschland und Frankreich erwartet. Ich bin eher sauer auf Belgien. Sie waren doch bisher nicht unangenehm aufgefallen.“

CEM SEY