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Archiv-Artikel

„Das kann tödlich sein“

„Um Sportler abzuschrecken, bedarf es nicht des Skandals“: Dopinganalytiker Mario Thevis über den von ihm entwickelten Insulintest und die Gefahren unkontrollierter Hormoneinnahme

INTERVIEW TOM MUSTROPH

Gerade produziert dank eines neuen Nachweisverfahrens das Epo-Mittel Cera heftige Schlagzeilen. Insulin könnte die nächste Substanz sein, die im Urin von Radlern gefunden wird. Darin ist das Hormon seit kurzem nachweisbar. Mario Thevis vom Kölner Antidopinglabor hat den Test entwickelt. Erste Gerüchte um Insulin als Dopingmittel hatte es bereits vor sieben Jahren gegeben. Ein englischer Sportmediziner hatte berichtet, dass vor allem Bodybuilder unter seinen Patienten Insulin zur Verstärkung der Wirkung von Wachstumshormon zu sich genommen hätten. Er befürchtete einen zunehmenden Konsum auch in anderen Sportarten. Insulin, im Körper für die Blutzuckerverteilung zuständig, sorgt dafür, dass Energieträger wie Glukose und Fette in die Zellen gebracht werden. Das mit Wachstumshormon erzielte Muskelwachstum kann damit stabilisiert werden. Mehr Energiereserven in den Muskelzellen verbessern zudem die Performance in Kraft- und Ausdauersportarten. Insulin gehörte unter anderem zur Verschreibungspalette des Doping-Arztes Eufemiano Fuentes, der 2006 von der spanischen Polizei als krimineller Unterstützer von Radsportgrößen wie Jan Ullrich und Ivan Basso enttarnt worden war. Weil das Mittel als Medikament gegen Zuckerkrankheit leicht erhältlich ist und bis vor kurzem noch nicht nachweisbar war, gilt es unter Experten als weit verbreitet. Die Rekordflut in manchen olympischen Sportarten könnte damit zusammenhängen. Das IOC möchte einige der 4.770 bei Olympia genommenen Proben nun auch auf Insulin testen lassen.

taz: Herr Thevis, Glückwunsch zu Ihrer Arbeit. Ist nun mit einer neuen Welle von Enthüllungen zu rechnen?

Mario Thevis: Das ist schwer einzuschätzen. Es gibt bislang nur Hinweise auf Sportler, die mit Insulin gedopt haben. Victor Conte, der Gründer und Inhaber des Balco-Laboratoriums, hat seine Klienten neben dem Designersteroid THG auch mit synthetischem Insulin versorgt. Das hat er offen zugegeben. Wir haben weitere Anhaltspunkte, die auf die Benutzung von Insulin schließen lassen. Die Anzahl der positiven Fälle lässt sich aber nicht prognostizieren.

Wie wirksam ist der Test?

Momentan können wir alle Insulinpräparate bis auf Humaninsulin nachweisen. Der Test für Humaninsulin befindet sich noch in der Entwicklung.

Wie sind Sie auf die Idee für diesen Test gekommen?

Wir haben uns die Liste der von der Wada (Welt-Antidoping-Agentur; d. Red.) verbotenen Substanzen angeschaut. Nach unserer Kenntnis hatte es 2003 noch keinen Test für Insulin gegeben. Dann haben wir einen Forschungsantrag bei der Wada gestellt, der positiv beschieden wurde. Zuerst haben wir uns auf den Nachweis im Blut konzentriert. Der Test war 2005 bereits fertig. Da Urin die am häufigsten gebrauchte Matrix ist, haben wir die Methode für Urin modifiziert. 2007 wurde auch diese Methode vorgestellt und nach einiger Zeit zugelassen.

Ab wann wird er eingesetzt?

Bei uns in Köln bereits seit einigen Monaten. Die nationale Antidopingagentur Nada und einige Verbände sind mit Anfragen zu uns gekommen.

Bisher hatten Sie noch keinen positiven Fund?

Nein. Die Nachweiszeit ist relativ kurz. Wenn Sportler gewarnt wurden, dass solch ein Test jetzt verfügbar ist, kann es sein, dass man wenig positive Befunde erhält. Aber wir haben ein Ziel bereits erreicht, wenn der Missbrauch durch Abschreckung eingestellt wird. Um Sportler abzuschrecken, bedarf es nicht unbedingt des Skandals.

Der Nachtest der Olympiaproben könnte aber ein anderes Bild ergeben?

Olympia ist eine andere Kategorie. Aber auch da könnte es sein, dass betrügende Sportler bereits vorsichtig genug waren, Insulin abzusetzen.

Macht bei all diesen Einschränkungen der Test überhaupt Sinn?

Natürlich. Wir haben das Mittel der unangemeldeten Trainingskontrollen. Selbst angesichts der kurzen Nachweiszeiten von einigen Tagen ist es daher möglich, jemanden zu überführen. Die Wahrscheinlichkeit, ertappt zu werden, steigt auf alle Fälle.

Insulin wird meist in Verbindung mit anderen Mitteln, Wachstumshormon etwa, genommen. Wie clever ist nun ein Test allein auf dieses Beiprodukt?

Es stimmt, Insulin wird oft ergänzend genommen. Es wirkt aber auch allein. Es kann zum Beispiel die Regeneration beschleunigen. Daher ist dieser Test absolut notwendig.

Wie gefährlich ist Insulindoping?

Die Gefahren sind ungleich größer als bei anderen Präparaten. Eine Überdosierung kann tödliche Folgen haben. Jeder Diabetiker weiß um die sensible Balance von Glukose und Insulin.