: Aufgeschlossene Einrichtung
Erster Jugendlicher aus geschlossenem Heim Feuerbergstraße geflohen. Er war der dritte Insasse. Behörde will Sicherheitsmaßnahmen verschärfen. SPD fordert mehr Pädagogik, GAL spricht von Hilflosigkeit des Senats
von KAIJA KUTTER und SVEN-MICHAEL VEIT
Nun ist passiert, was Fachleute vorhersagten und der Rechts-Senat nicht hören wollte: In der Nacht zum Mittwoch ist ein 16-Jähriger aus dem geschlossenen Heim in der Feuerbergstraße in Ohlsdorf entwichen. Es handelte sich um den dritten Insassen der umstrittenen Einrichtung, der erst am Vortag per richterlichem Beschluss dort eingesperrt worden war. Nach einer Mitteilung der zuständigen Sozialbehörde gelang es dem Jungen, eine Feuerschutztür „mit großer Kraft“ und Hilfe eines abgebrochenen Mülleimerhenkels aufzuhebeln. Anschließend flüchtete er durch ein Fenster im angrenzenden Treppenhaus.
Die Flucht wurde gestern früh um 5.45 Uhr bei einer Kontrolle bemerkt. Als Konsequenz ordnete die Sozialbehörde an, die sporadischen Kontrollen der Mitarbeiter durch eine durchgehende Nachtwache zu ersetzen. Außerdem wurde noch gestern ein neues Türschloss eingebaut, das nicht magnetisch funktioniert, aber „trotzdem den Brandschutzvorschriften entspricht“, wie Behördensprecherin Anika Wichert erklärt. Die Flucht wurde der Polizei gemeldet, die nun nach dem Jungen sucht.
Auch die Eltern, das Familiengericht und das „Familien-Interventions-Team“ wurden informiert. Der 16-Jährige sei in den vergangenen drei Jahren durch „Raubdelikte, gefährliche Körperverletzung und räuberische Erpressung“ aufgefallen, teilte die Behörde mit. Versuche, ihn durch „normverdeutlichende Gespräche“ davon abzuhalten, seien fehlgeschlagen.
Der jugendpolitische Sprecher der SPD, Thomas Böwer, mahnt angesichts des Vorfalls zur „Gelassenheit“. Es sei in Fachkreisen unbestritten, dass die „Entweichungsquote“ bei offenen und geschlossenen Einrichtungen gleich hoch sei. „Der Junge ist am ersten Tag geflohen, das ist ein klassischer Büx-Termin“, sagt Böwer: „Der wurde dort eingesperrt und wollte schlicht nicht bleiben.“
Böwer erinnert an ein Heim in Mecklenburg-Vorpommern, in dem ein 14-Jähriger binnen 14 Tagen gleich zwei Mal entwich. „Der Senat sollte aufhören, davon zu reden, dass das Heim ganz, ganz sicher sei, und sich weniger auf die Frage des Wegschließens als auf die Frage des Erziehens konzentrieren.“ Auch solle man nicht versuchen, das Problem durch bauliche Maßnahmen in den Griff zu kriegen. Böwer: „Eine technische Antwort auf den Freiheitsdrang von Jugendlichen gibt es nicht.“
Nach Ansicht des CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Hesse „gibt es keinen Grund, an der Konzeption der geschlossenen Unterbringung zu zweifeln“. Zunächst aber müsse natürlich „der Vorfall lückenlos aufgeklärt“ und „das gesamte Sicherheitssystem der Einrichtung überprüft werden“.
Weitere Sicherungsmaßnahmen wie „noch höhere Zäune und noch mehr Schlösser“ hält Manfred Mahr (GAL) hingegen für „ein Zeichen von Hilflosigkeit“. Sarkastisch fragt er, ob demnächst um das Heim „ein Wassergraben gezogen“ werden solle. Erneut wies Mahr auf eine Studie des Deutschen Jugendinstituts hin, wonach es bei 741 einsitzenden Jugendlichen pro Jahr statistisch zu 1000 Ausbrüchen komme: „Wer eingeschlossen wird“, folgert Mahr, „will raus.“
Vor dem jetzt Geflohenen war vor zwei Wochen ein 14-Jähriger und vor sechs Tagen ein 15-Jähriger in die Feuerbergstraße eingewiesen worden. Das Gericht genehmigte den Aufenthalt zunächst jeweils nur für zwei Wochen. Ob die Jugendlichen – wie es das Konzept der Feuerbergstraße vorsieht – ein Jahr bleiben, wird für den ersten Fall am kommenden Montag entschieden.