: Wachgeküsst vom Besten
Zum nahezu bedeutungslosen letzten Europaliga-Spiel der deutschen Tischtennis-Männer gegen Holland kommen 1.500 Zuschauer. Sie alle wollen nur eines: Timo Boll spielen sehen
aus Karlsruhe HARTMUT METZ
Die Ratefüchse Herbert Feuerstein („Sind Sie vielleicht Handwerker?“) und Norbert Blüm hatten in der am vergangenen Donnerstag auf Kabel 1 ausgestrahlten Sendung des TV-Klassikers „Was bin ich?“ alle Mühe. Schauspielerin Tanja Schumacher hingegen erkannte rasch an den Beinen, dass der junge Mann wohl Sportler sein müsse. Und Vera Int-Veen ließ sich auch durch die typische Handbewegung – das Rollen des Unterarms über den Tisch, um einen Belag zu festigen – nicht irritieren. „Ich habe das gleich am Hintern gesehen. Der springt einem sofort ins Auge“, bemerkte die Mittagstalkerin. Nach sieben Fünfern im „Schweinderl“ hatte das Rateteam den Beruf erraten: Tischtennisprofi.
Die Sendung war bereits im vergangenen Sommer aufgezeichnet worden, sodass Timo Boll noch Focus-Chefredakteur Helmut Markwort die Rolle als Ehrengast überlassen musste. Da war es wohl auch besser, dass die Damen beim Faktenhuber aus München Augenbinden trugen – Markworts Hintern wäre sicher weniger positiv aufgefallen. Die gestiegene Popularität Bolls freilich zeigte sich schon tags darauf bei „Wer wird Millionär?“. Auf die Frage, wer seit Januar die Weltrangliste anführe, tippten beim Publikums-Joker 67 Prozent im Saal auf den 21-Jährigen.
Der Europameister garantiert inzwischen auch gefüllte Hallen. Wo Boll antritt, erreicht das zuvor trotz aller Erfolge im Dornröschenschlaf schlummernde Pingpong vierstellige Zuschauerzahlen. Auch in Karlsruhe fanden sich 1.500 Besucher zusammen, die vor allem wegen ihm zum nahezu bedeutungslosen letzten Europaliga-Spiel der Saison pilgerten. Gegen die Niederlande ging es nur um die Ränge sieben, acht oder neun, die sich lediglich für die Setzliste bei der EM Ende März in Courmayeur auswirken. Die Holländer ließen deshalb Bolls Vereinskameraden beim TTV Gönnern, Danny Heister, zu Hause. Die Frau des Weltranglisten-19. erwartet in diesen Tagen erstmals Nachwuchs.
Der 3:0-Sieg über den WM-Fünften wurde so zu einem der kürzesten Europaligaspiele. Der frenetisch begrüßte und später umlagerte Boll benötigte mehr Zeit fürs Schreiben der Autogramme als für Daan Sliepen. Dem Weltranglisten-358. gönnte der frisch gebackene Europa-Top-12-Sieger in drei Sätzen gerade mal zehn Punkte. „Das war für die Zuschauer blöd, dass keine Ballwechsel zu Stande kamen“, bedauerte Boll. Selbst Bastian Steger ließ gegen Trinko Keen kaum Spannung aufkeimen. Der Düsseldorfer brillierte immerhin mit glänzendem Rückhandspiel und forderte das Publikum mit fantastischen Ballonabwehrbällen weit hinter der Platte zu Beifallsstürmen heraus. Für das 11:6, 11:8, 6:11, 11:4 über den Weltranglisten-32. zollte Bundestrainer Istvan Korpa dem 21-jährigen Steger ein „besonderes Lob“.
Auch Zoltan Fejer-Konnerth bestätigte in Karlsruhe seinen Aufschwung. Einmal retournierte der Doppel-Europameister das Zelluloid sogar zirkusreif mit seinem reflexartig hinter dem Rücken vorbeigeführten Schläger. Dass die Mehrzahl der Zuschauer Barry Wijers die Daumen gegen den Lokalmatadoren drückten, lag nicht an Fejer-Konnerths baldigem Wechsel vom TTC Karlsruhe-Neureut zu Meister TTC Grenzau – vielmehr wünschten sich die Zuschauer ein zweites Spiel von Boll. Die Hoffnung auf dessen Duell mit Keen zerstörte Fejer-Konnerth allerdings in vier Sätzen. „Für die Zuschauer wäre es schön gewesen, wenn es noch das ein oder andere Match mehr gegeben hätte, aber Timo, Bastian und Zolli haben heute sehr gut gespielt“, räumte Keen ein.
Dennoch: Platz sieben, vor Kroatien und den Niederlanden, ist die schlechteste Platzierung der Nationalmannschaft in der Europaliga seit Einführung der reinen Herren-Wettbewerbe 1991. Mit Ausnahme eines fünften Platzes holte die DTTB-Auswahl seitdem stets eine Medaille, die vergangenen drei Jahre hatte sie die Superdivision gewonnen.
Aber wieso patzte das deutsche Team ausgerechnet jetzt, da es den Weltranglistenersten in den eigenen Reihen hat? „Die Vorrundengruppe verlief unglücklich“, erinnert sich Boll. Beim 1:3 gegen Weißrussland kassierte der Topstar zwei seiner raren Niederlagen. Dass er gegen Abwehr-Ass Jewgeni Schetinin und den Europa-Top-12-Finalisten Wladimir Samsonow angeschlagen ins Match ging, lässt Boll unerwähnt. Die folgenden zwei Siege über Dänemark (3:2) und Belgien (3:0) reichten danach zu nicht mehr als Rang drei in der Gruppe. „Ich bin eben auch keine Maschine, die immer zwei Spiele gewinnt“, bemerkt Boll und ringt der missratenen Europaliga-Saison auch einen positiven Aspekt ab: „Es ist ja nicht schlecht zu sehen, dass man nicht immer vorne liegt.“