: Vereint für Frieden und Gerechtigkeit
In den Vereinigten Staaten wächst das Bündnis für den Frieden. Inzwischen wird es vom liberalen Durchschnittsamerikaner dominiert. Sogar Camilla Paglia ist gegen den Krieg. Sie liest den Untergang des amerikanischen Imperiums nicht aus Eingeweiden, sondern aus den Trümmern des Spaceshuttles
von TOBIAS RAPP
Ein bemerkenswertes Durcheinander säumt den Weg zum Hauptquartier von United For Peace And Justice, den Organisatoren der nächsten großen Antikriegsdemonstration am kommenden Samstag. Am Times Square laufen die neuesten Nachrichten über das europäisch-amerikanische Zerwürfnis über den riesigen Nachrichtenticker, ein paar Schritte weiter kommt man an der Uhr vorbei, die den aktuellen Stand der amerikanischen Schulden festhält (es sind 6,4 Billiarden Dollar, Tendenz rapide steigend), an einem Kiosk liegt die Boulevardzeitung New York Post aus, ihr Titel ziert das Foto eines amerikanischen Soldatenfriedhofs aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Frankreich (die dazugehörige Schlagzeile lautet „Sacrifice! Sie starben für Frankreich, aber Frankreich hat es vergessen“), daneben steht ein Verkäufer des Final Call, der Zeitung der Nation Of Islam. Ihr Titel warnt vor einem „Global Holocaust“ für den Fall eines Angriffs auf den Irak. Dazwischen kleben und hängen die Plakate und Flyer, die zur Demonstration rufen, an Ampelpfosten, über den Treppen, die in die U-Bahn führen, in Hauseingängen.
Schwarz auf türkisfarbenem Grund zeigen sie den Erdball, in dem eine Fahne steckt, auf der Fahne steht der Schriftzug „The World Says No To War“, und daneben prangen die Namen von rund einem Dutzend Städten überall auf der Welt, in denen ebenfalls demonstriert werden wird. Zeit: kommender Samstag um zwölf; Ort: 49. Straße, ein paar Blocks von den Vereinten Nationen entfernt. Nichts weiter. Es ist ein Aufruf, der in seiner Schlichtheit einiges über die Dynamik aussagt, die die Mobilisierung gegen den drohenden Irakkrieg mittlerweile angenommen hat.
Im Aufruf zu der großen Demonstration vom Oktober vergangenen Jahres in Washington hatte es noch geheißen, die USA planten, eine Puppenregierung im Irak zu etablieren, die in Wirklichkeit von US-Unternehmen beherrscht werden würde, und es war zum Widerstand gegen die israelische Besetzung Palästinas aufgerufen worden. Der Aufruf für die Großdemonstration vom Januar hatte – im Ton schon etwas moderater – nur noch vor den unkalkulierbaren Risiken dieses Kriegs gewarnt und darauf hingewiesen, der Irak sei keine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten. Allerdings hatte es auch bei dieser Demonstration im Vorfeld Streit gegeben, weil die Organisatoren einem liberalen Rabbiner kein Rederecht einräumten.
Die Öffnung der Antikriegsbewegung hatte sich dort jedoch schon angedeutet. Zwar war die Rhetorik auf dem Podium noch genau von jenem antiimperialistischen Furor getragen, der auf das Mainstream-Amerika so abschreckend wirkt. Doch im Publikum dominierte schon der liberale Durchschnittsamerikaner, am schönsten vielleicht durch einen Mann Anfang vierzig verkörpert, der ein Schild mit der Aufschrift „Mainstream White Guys For Peace“ herumtrug.
Nun heißt es also nur noch „Die Welt sagt Nein zum Krieg“. Das Monopol der Antiimperialisten, die bisher die treibende Kraft der Antikriegsmobilisierung waren, erodiert. Das Bündnis ist schlicht zu breit geworden für eine übergreifende Analyse der Situation, auf die sich alle Beteiligten einigen könnten. Es ist zu breit geworden und die Zeit zu knapp. „Die Demonstration dürfte die letzte Gelegenheit sein, um zu versuchen, diesen Krieg zu verhindern“, sagt Bill Dobbs, einer der Sprecher von United For Peace And Justice. Es mag spät sein, doch der Widerstand gegen die Kriegspläne der amerikanischen Regierung zieht immer größere Kreise.
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendeine Organisation oder ein Privatmann große Antikriegsanzeigen in der New York Times schalten würde. Zwar wird den Statements linksliberaler Intellektueller wie Richard Rorty oder Judith Butler hier nicht ganz so viel Aufmerksamkeit zuteil wie in deutschen Medien, aber es gibt sie. Die vorläufig Letzte, die sich gegen den drohenden Krieg aussprach, war die postfeministische Krawallschwester Camilla Paglia in einem Interview mit dem Online-Magazin Salon.com. Paglias Position, die man in dem Satz „Nein zu einem Krieg unter dieser Regierung“ zusammenfassen könnte, dürfte auch der kleinste gemeinsame Nenner sein, der all die zahllosen Organisationen verbindet, die sich unter dem Dach von United For Peace And Justice zusammengeschlossen haben.
Rund hundertfünfzig verschiedene Organisationen bilden dieses Bündnis. Das Spektrum reicht dabei von diversen Palästina-Solidaritätsgruppen und jüdischen Friedensaktivisten, Vietnamveteranen und Frauengruppen über Bürgerrechtler und Kriegsdienstverweigerer, diverse Migrantenorganisationen und kirchliche Gruppen aller Konfessionen, Gewerkschafter und Autonome bis zu Food Not Bombs und den amerikanischen Grünen. Auch International Answer, die die Großdemonstration vor einigen Wochen in Washington organisierten, sind mit von der Partie. Ihre Büros in einem Hochhaus am Times Square direkt neben dem zentralen New Yorker Busbahnhof haben United For Peace And Justice von einer Gewerkschaft gestellt bekommen, Bill Dobbs selbst ist eigentlich Anwalt und kommt aus der Queer-Bewegung.
Die Offenheit ist bei United For Peace And Justice Programm. Gegründet im vergangenen Oktober, um der Organisation einer Antikriegsbewegung eine breitere Basis zu schaffen, hieß es schon damals, das Wichtigste sei, zum einen den Krieg zu verhindern und zum anderen gegen die Repression in den USA selbst anzugehen. Im Zuge dessen würden dann die anderen Fragen und der größere Kontext diskutiert, hieß es im Gründungspapier. Anstatt einen großen Masterplan zu entwerfen, funktioniert United For Peace And Justice über so genannte points of unity. Die Punkte, über die man sich einig ist, werden betont, der Streit über den Rest wird vertagt.
Das hat bisher gut funktioniert. Sogar die amerikanischen Gewerkschaften, die als recht konservativ gelten, mobilisieren mittlerweile gegen den drohenden Krieg. Mitte Januar verabschiedeten über hundert Delegierte bei einem Kongress in Chicago eine Resolution, in der sie sich gegen den Krieg aussprachen und dafür vor allem sozialpolitische Gründe geltend machten. Das Geld für den Krieg werde beim sozialen Wohnungsbau und bei der Finanzierung von Schulen und Krankenhäusern fehlen. Ähnliche Argumentationen findet man natürlich auch bei Migranten- oder Frauenorganisationen.
„Es war immer so, dass die Organisation von Antikriegsbewegungen von der Linken ausgegangen ist“, sagt Dobbs. „Aber was die Leute auf dem Podium sagen und was die Leute unten machen, das können oft zwei unterschiedliche Dinge sein. Die Message am kommenden Samstag wird nicht von den Sprechern kommen, sie wird von den Demonstranten kommen.“ Dass so viele Durchschnittsamerikaner anfangen, mit der Friedensbewegung zu sympathisieren, hat allerdings nicht nur mit deren geschickter Bündnispolitik zu tun. Wer gegen den Krieg ist, dem bleibt gar keine andere Adresse, an die er oder sie sich wenden könnte.
Zwar gibt es in der Demokratischen Partei eine kleine Fraktion rund um den Senator Robert Kennedy, die sich gegen den Irakkrieg stellt – es sei der „falsche Krieg zum falschen Zeitpunkt“, sagte Kennedy vor einigen Tagen, und einige Kongressabgeordnete, die noch im Oktober für den Irakkrieg votierten, haben ihre Position mittlerweile revidiert, auch auf den Druck der Friedensbewegung hin. Trotzdem werden die Demokraten nach wie vor von Politikern wie den Senatoren John Kerry und Joseph Liebermann dominiert, die beide angekündigt haben, für die Präsidentschaft kandidieren zu wollen, und die Bush im vergangenen Jahr in puncto Irak bedingungslose Unterstützung zusicherten. Das haben sie zwar mittlerweile aufgegeben, allerdings nur, um eine schwer vermittelbare und wenig glaubwürdige Ja-aber-Position einzunehmen.
Sosehr die Heterogenität im Augenblick noch eine Stärke der Antikriegsbewegung ist und es auch für den Fall bleiben dürfte, dass die USA tatsächlich ohne Rückendeckung der UNO gegen den Irak losschlagen sollten – wenn die Kampfhandlungen vorbei sind, dürfte diese fragile Konstruktion in Schwierigkeiten kommen. Spätestens dann dürfte sich zeigen, ob sich der Protest gegen einen Krieg in einen Protest gegen imperiale Ambitionen verwandeln lässt, wie es etwa der Politologe Michael Klare in der aktuellen Ausgabe der linksliberalen Wochenzeitung The Nation fordert.
Noch ist es allerdings nicht so weit. Und zumindest wenn man Camilla Paglia folgt, wäre die Regierung Bush auch ganz ohne Widerstand im eigenen Land gut beraten, den Krieg abzusagen. Denn, so stellte sie in ihrem Interview fest, wenn man die berühmt-berüchtigte Parallele zwischen dem Römischen Reich und dem amerikanischen Imperium ernst nehmen wolle, dürfe man die Bedeutung des Columbia-Absturzes nicht unterschätzen. Er sei ein schlechtes Omen. Der israelische Astronaut sei schließlich einer der Piloten gewesen, die vor zwanzig Jahren das irakische Atomprogramm bombardierten, die Trümmer des Spaceshuttles seien über Bushs Heimatstaat Texas niedergegangen, ein Großteil davon ausgerechnet über einer Ortschaft namens Palestine. „Römische Generäle ließen vor einer Schlacht Wahrsager aus den Eingeweiden lesen. Wenn es ein Zeichen an den Präsidenten und seine Administration gab, noch einmal darüber nachzudenken, was sie tun – das dürfte es gewesen sein.“