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Archiv-Artikel

Linke und rechte Spießer

betr.: „Bayern veredelt Law-and-Order-Pädagogik“, taz vom 5. 2. 03

Das hat schon den Kaiser Franz Josef nicht ruhig schlafen lassen. Da hatte ihm der Görlitzer Altbischof Fränckel doch erzählt, wie Honecker sich in seinen Kindergärten mit regelrechten Gottesdiensten verehren ließ: Vor den Ikonen von Erich und Margot wurden Kerzen angezündet, Lieder angestimmt und Liebeserklärungen an die DDR und ihren Führer eingeübt. Und die lieben Kleinen wetteiferten mit ihren Leistungen zu Ehren Erich und Margot Honeckers.

„Das will ich auch haben“, raunte FJS nächtelang und verzehrte sich. Aber der Stoiber hat’s jetzt geschafft! Bald wird in den bayerischen Kindergärten das gütige Antlitz des Landesvaters von den Kruzifixen milde herablächeln, auf die braven Kinder, die ihm zu Ehren mit Leistungen wetteifern, vor allem im Dienern und Knicksen, der allerhöchsten Landestugend, ganz zu schweigen von der erotischen Variante, die den gepflegten Hosenboden verleiht.

Ach, da wird der Ludwig Thoma aber seine Freude haben und mit seinem Münchner im Himmel ein Maß drauf leeren!

MICHAEL PIETSCH, Schwerin

Auch wenn es den linken Spießern (Spießer ist jemand, der auf seinen einmal vorgefassten Meinungen beharrt) nicht passt, die Wurzeln des Desasters des deutschen Bildungssystems liegen ganz klar im völlig unrealistischen Menschenbild der Linken. Zivilisierung ist nun einmal ein Prozess der Selbstdomestikation des Menschen, und dieser Prozess ist neben allen seinen Vorteilen für die Menschheit notwendigerweise auch schmerzhaft. Niemand fühlt mehr als die Jugend die Schmerzhaftigkeit dieser Domestikation, und niemand revoltiert mit mehr Leidenschaft dagegen als die Jugend. Die Linke glaubt, man könne ohne Schmerzen domestizieren. Welch ein Unfug! Das Resultat des Verzichts auf Domestikation in der Erziehung ist das Desater des deutschen Bildungssystems. […] GEORG PRIESSNITZ, Wien, Österreich