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Archiv-Artikel

Ein Drittel ist immer drin

ARMY IN DER KRISE

Bald fehlen der US Army die SoldatInnen: Die freiwillige US-Armee hat insgesamt mit sinkenden Rekrutenzahlen zu kämpfen. 67.398 waren es im Jahr 2007 – mehr als 2,5 Prozent weniger als noch im Jahr zuvor. Tendenz fallend. Die erfolglosen Einsätze im Irak und in Afghanistan und die Kritik an den US-Streitkräften haben die etwas über 1 Million Soldaten starke US-Armee (inkl. Reserve und National Guard) in eine Belastungskrise gestürzt. Immer mehr Soldaten müssen daher zu ihrer dritten und vierten Iraktour aufbrechen. Entsprechend wächst der Unmut – auch in der Armeeführung. Um das Schwinden der Anwerbungserfolge auszugleichen, senkte das Pentagon zum Jahresbeginn erstmals in zwei Jahrzehnten die Eintrittsbedingungen so weit ab, dass Kritiker bereits von einer zukünftigen „Dummie-Armee“ sprechen. Statistiken zeigen, dass der Anteil von Rekruten mit wenigstens Highschool-Abschluss, vergleichbar der deutschen Hauptschulabschluss, von 94 Prozent im Jahr 2003 auf 70 Prozent im vergangenen Jahr absackte. Die Folgen: immer mehr bildungsferne US-Bürger in Kampfmontur. Für die immer komplexeren Hightech-Aufgaben im Kampf gegen Aufständische sind diese Leute kam zu gebrauchen, heißt es aus dem Führungsstab. Kritiker der US-Außenpolitik können dem etwas Positives abgewinnen: Sollte die US-Armee künftig zu dumm zum Kämpfen sein, werde man in Washington vielleicht erst mal an Diplomatie statt an Divisionen denken. AW

AUS HOUSTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Feldwebel Tyraka Dixons Job ist es, Jugendliche anzusprechen. „Hey man“, sagt er dann freundlich und fragt, wie die Abschlussprüfung der Highschool so lief. „Was machste jetzt?“, will er wissen und nickt den Jugendlichen zu. „Tollen Deal hast du da gemacht, super, ey!“

Dixon, ein großer, sportlicher Afroamerikaner mit einem weichen Gesicht und großen, runden Augen, ist der Star seines Büros. Er ist einer der erfolgreichsten Rekrutierer der US-Armee. Die interne Statistik zeigt, dass sich jeder Dritte, den er anspricht, später dazu entschließt, zur Armee zu gehen. Dixon, 29 Jahre alt und ein sanfter Hüne, erzählt den Jugendlichen gern ein bisschen von sich. Wie er in Gulfport an der Küste von Mississippi in Armut aufwuchs. Er und seine Mom und drei Perspektiven: Knast oder Friedhof oder die Armee.

Dixon wählte die Armee und nennt es auch heute noch, elf Jahre nachdem er ihr beigetreten ist, die „beste Entscheidung seines Lebens“. Der Armee verdanke er, dass er sein Leben in den Griff bekommen hat. Hier habe er alles gelernt, was ihm Gulfport nie habe vermitteln können: Disziplin, Ordnung und das Gefühl, ein guter Mensch zu sein. Während er wegen seiner ärmlichen Herkunft und seiner schwarzen Hautfarbe ein potenzieller Loser gewesen sei, verleihe im die Uniform jetzt das Charisma eines Helden. Da gibt es für ihn kein Vertun. „Wenn du deinem Land dienst, bist du ein Held“, sagt er den jungen Männern, die er so anspricht.

Sein Arbeitsplatz ist das Rekrutierungsbüro in Katy, einem trostlosen Stadtteil des texanischen Houston. Das schlichte Büro mit grauer Auslegeware ist Teil einer uferlosen Shoppinglandschaft. Zwischen einem Taekwondo-Studio und einem leer stehenden Supermarkt wird hier für den Dienst am Vaterland geworben. In einem Drahtgestell locken Flyer mit schicken Werbefotos von Armeejobs wie Übersetzer, Techniker und natürlich Kampfsoldat.

Harris County, zu dem Katy gehört, ist Standort der erfolgreichsten Armeerekrutierer der gesamten USA. Trotz zweier verlustreicher Kriege in Afghanistan und im Irak und der landesweit wachsenden Ablehnung des US-Einsatzes in diesen Ländern haben Dixon und seine Kollegen im vergangenen Jahr hier 1.027 Rekruten angeworben. Sein Jahressoll hat das Team um Kapitän Tammy Fanniel, eine 30-jährige, im bayerischen Amberg geborene US-Deutsche, damit beispielhaft übererfüllt. Für Dixons direkten Vorgesetzten, Oberfeldwebel George Dingle, liegt der Grund für den Erfolg seiner Werber schlicht an den patriotischen Gefühlen der texanischen Bevölkerung.

„Viele Menschen wollen dem Land dienen. Viele Kinder haben Eltern, Onkel, Tanten, Großmütter, Großväter, die gedient haben. Das macht es uns einfach. Sie verstehen, woher wir kommen.“ Wichtige Voraussetzung des Anwerbens sei, dass so etwas wie ein militärisches Umfeld vorhanden sei. Dort, wo Armee etwas Fremdes und Unbekanntes sei, hätten es Rekrutierer grundsätzlich schwer, erklärt Dingle.

Auch er ist schwarz und, ähnlich wie Dixon, in armen Verhältnissen in South Carolina aufgewachsen. Anders als in seiner Heimatregion, in der junge Menschen wie Dingle mangels Alternativen und aus Abenteuerlust zum Militär gehen, hätten es Jungs und Mädels aus Houston nicht nötig, wegen Jobmangel bei den Streitkräften anzuheuern. Houston ist eine Boomregion, und in nahezu jedem Geschäft hängen Zettel mit Jobangeboten.

Dixon und seine sieben Kollegen arbeiten sich täglich durch lange Telefonlisten durch, die ihnen die Armee schickt. Auch übers Internet versuchen sie, an interessierte Jugendliche heranzukommen. Aber den größten Erfolg haben sie in persönlichen Gesprächen. Dafür durchkämmen Rekrutierer wie Dixon High schools, Schnellrestaurants und vor allem die schier endlosen Shopping-Malls der texanischen Ölhauptstadt. Im Blick haben sie gesunde junge Männer und Frauen zwischen 18 und 42 Jahren.

Tyraka Dixon ist auch an diesem Nachmittag im Einkaufszentrum von Katy unterwegs. In frisch gebügelter Kampfuniform geht er lockeren Schrittes zum Fischen. Kaum ist er aus seinem blauen Toyota ausgestiegen, legt er auch schon los. „Hey, hallo, wie geht’s? Hast du Interesse an der US Army?“, fragt er eine junge Frau, die missmutig und rauchend vor dem Eingang des Einkaufszentrums auf dem Boden sitzt. „Na ja, geht so“, sagt sie unsicher. Nach wenigen Sätzen ist klar, dass sie wegen Marihuanabesitzes vorbestraft ist. „Das kriegen wir hin“, sagt Dixon ruhig und erklärt ihr, dass Dienst in der Army zur Löschung diverser Vorstrafen führen kann. Er reicht ihr seine Visitenkarte, die er lässig aus der Schultertasche seiner Uniform zieht, und weiter geht’s.

In einem Feinkostladen spricht der Feldwebel die 18-jährige Rachel Rodriguez an. Die sortiert gerade Senf- und Gurkengläser in die Regale, lässt sich aber schon nach wenigen Sekunden dazu einladen, sich die US Army etwas näher anzuschauen. Sie wolle aufs College, erzählt sie. Dafür brauche sie Geld. Steilvorlage für Dixon. Er erzählt Rodriguez, wie seine eigene Ehefrau ihre Ausbildung durch die Armee finanzieren ließ und heute als Ingenieurin arbeitet. Für die junge Frau ist die Armee keine unbekannte Größe. Sowohl ihre Schwester als auch zwei Kusinen dienen. Ihre Eltern, erzählt sie freimütig, unterstützen den Gedanken des Militärdienstes, obwohl sie natürlich auch Angst hätten.

„Du musst deine Zukunft und deine Familie und alles aufs Spiel setzen, nur um dein Land zu verteidigen. Und um das zu tun, musst du dein Land lieben und stolz auf es sein“, sagt Rachel, und es klingt, als führe sie so ein Gespräch nicht zum ersten Mal. Ihre Schwester, die gerade von einem Einsatz aus dem Irak zurückgekehrt ist, sei „nicht mehr so begeistert“, berichtet sie. „Sie sagt mir, es ist nicht so glorreich, wie es klingt. Eigentlich ist es überhaupt kein Spaß. Sie mag jetzt keine Kriegsfilme mehr sehen und guckt sich den Krieg auch nicht in den Nachrichten an. Sie hat mir gesagt, du kannst es in Erwägung ziehen, aber wenn du halbherzig hingehst, dann kommst du nicht zurück. Du musst daran glauben, dass es das ist, wofür du da bist.“

Auch Rachel bekommt eine Visitenkarte, und Dixon notiert ihre Nummer. Noch heute Abend will er sie anrufen, um mit ihren Eltern und ihr einen Beratungstermin zu vereinbaren. „Nie ohne die Eltern“, erklärt Dixon. Es wäre vergebliche Liebesmüh, würde er einen Jugendlichen anwerben, der dann nach Hause geht, und die Mutter sagt Nein.

Hinter seinem Keksstand steht Stephen Freeze und grüßt den Feldwebel. Der 23-jährige blonde junge Mann hat in der texanischen Stadt Corpus Christi gerade eine Bibelschule absolviert. Heute ist sein erster Tag als Keksverkäufer. Zwischen zwei Kunden sagt Freeze, dass er bisher nie über die Armee nachgedacht habe. Dixon zählt für ihn auf, welche Möglichkeiten er bei der Armee hätte.

Es wäre vergebliche Liebesmüh, würde Dixon einen Jugendlichen anwerben, der dann nach Hause geht, und die Mutter sagt Nein

„Wir haben 212 verschiedene Jobs, unter denen du auswählen kannst. Vom Verwaltungsbereich bis hin zum medizinischen Bereich. Viele denken, wenn sie an die Armee denken, nur an Kampf, Kampf, Kampf. Aber wir haben viel mehr Jobs, als nur die im Irak zu bieten.“

Das klingt für Freeze verlockend. Zum Irak hat er gar keine Fragen, er findet die Army einfach cool, sagt er. Die politischen Debatten, wie die über den US-Rückzug aus dem Irak, interessieren ihn nicht. „Es ist ja nicht meine Aufgabe, das zu entscheiden. Ehrlich, ich denke, wir müssen uns voll um unsere Sicherheit kümmern. Wir müssen tun, was wir tun müssen, um ein freies Land zu bleiben.“ Auch seine Handynummer notiert Dixon, die beiden verabreden bereits einen Termin vor der Schicht am Keksstand.

Beim Weg zum Ausgang begegnen Dixon zwei Kollegen in weißen Marineuniformen in gleicher Mission. Der eine beugt sich flüsternd zu Dixon und fragt: „Sag mal, nehmt ihr jetzt die mit den schweren Vorstrafen oder nicht? Wir nehmen sie nicht, aber ihr nehmt doch alle, oder?“ Dixon flüstert etwas Unverständliches zurück, und weiter geht’s.

Freundlich stehen gelassen hat Dixon an diesem Nachmittag einen Epileptiker und einen jungen Mann mit Pickeln und Diabetes. Und zwei große, sportliche Jungs mit Nike-T-Shirts. Schnell war klar, dass sie ein Rugby-Stipendium für ein angesehenes US-College haben und demnächst ihr Studium anfangen. „Good luck“, wünscht Dixon. Später erklärt er grinsend: „Man wirbt doch keinen ab, der ein Rugby-Stipendium hat. Also nee, die haben was Besseres vor als Armee.“

Dixon, dem trotz der Klimaanlagen in der Shoppingzeile Schweißperlen auf der Stirn stehen, ist zufrieden. Nach zwei Stunden und rund 20 „Erstkontakten“ verlässt er die Katy Mall mit einem Dutzend neuer Telefonnummern. Gut ein Drittel von ihnen, da ist er sich sicher, wird er kriegen.