: Ein Bericht für einen Rat
Steht es im Sicherheitsrat elf zu vier für weitere UN-Inspektionen? Vor dem Blix-Bericht heute versuchen die USA, Ratsmitglieder auf ihre Seite zu ziehen
aus Genf ANDREAS ZUMACH
„Es steht elf zu vier.“ Unverdrossen verbreiteten der amtierende Vorsitzende des UNO-Sicherheitsrats, Deutschlands Botschafter Gunter Pleuger, und seine Vorgesetzten im Berliner Außenministerium in den letzten Tagen diese Botschaft. Elf Mitglieder des Rates – darunter neben Deutschland die drei Vetomächte Frankreich, Russland und China – seien für eine Fortsetzung der UNO- Rüstungsinspektionen im Irak und die Entwaffnung des Landes auf friedlichem Wege. Die USA und Großbritannien plädierten, unterstützt von Spanien und Bulgarien, für ein Ende der Inspektionen, die Feststellung schwerwiegender Verstöße Bagdads gegen die Resolution 1441 und die Anwendung militärischer Gewalt.
Doch „elf zu vier“ ist längst Geschichte. Das wird die heutige Sitzung des Sicherheitsrates deutlich machen, zu der die USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland eigens ihre Außenminister nach New York geschickt haben. Bereits bis zum Freitag letzter Woche hatte die Bush-Administration – zum Teil mittels erheblichen wirtschaftlichen und politischen Drucks – die drei afrikanischen Ratsmitglieder Kamerun, Angola und Guinea sowie Chile auf ihre Seite ziehen können. Mexiko stand kurz davor, nachzugeben. Zudem war die Bush-Administration auf Grund entsprechender Signale aus Paris, Moskau und Peking zuversichtlich, dass die Regierungen der drei Vetomächte eine Ultimatumsresolution an Bagdad passieren lassen würden, die Washington und London freie Hand für einen Krieg gegen Irak spätestens ab Mitte März geben würde.
Doch die von Russland, China und Deutschland unterstützten Vorschläge Frankreichs für eine Verstärkung und Verschärfung der Inspektionen haben die Dynamik im Sicherheitsrat verändert. Sehr zum Ärger der Bush-Administration, wie die zunehmend aggressiven Reaktionen zeigen, mit denen Washington auf die französischen Vorschläge reagiert. Im Sicherheitsrat stehen sich jetzt erstmals seit den kontroversen Diskussionen um den Wortlaut der Resolution 1441 im September und Oktober zwei Strategien für das weitere Vorgehen gegenüber.
Wie der Showdown ausgeht, wird wesentlich vom Tenor der Berichte abhängen, die die beiden UNO-Chefinspekteure Hans Blix und Mohammed al-Baradei heute zu Beginn der Sitzung erstatten. Ursprünglich herrschte in New York die Erwartung, dass die Berichte insgesamt positiver ausfallen würden als die ersten der beiden Inspektoren vom 27. Januar. Denn ein Teil der damals von ihnen vorgebrachten Kritik hat sich seitdem erledigt. Irak genehmigte inzwischen das Überfliegen seines Territoriums mit – von US-Piloten geflogenen – U-2-Überwachungsflugzeugen; irakische Wissenschaftler konnten erstmals von den UNO-Inspektoren ohne Aufpasser der Regierung vernommen werden; und schließlich erhielten Blix und Baradei bei ihrem Bagdad-Besuch am letzten Wochenende seit langem verlangte Dokumente über den Verbleib bzw. die Zerstörung von Altbeständen chemischer und biologischer Waffen.
Doch das Bild wird getrübt durch den vorgestern bekannt gewordenen Befund eines Expertenteams der Unmovic, wonach die vom Irak entwickelte Rakete vom Typ Al Samoud-2 tatsächlich eine Reichweite von 180 Kilometern hat, 30 Kilometer über der erlaubten Reichweite von 150 Kilometern. Der britische Premierminister Tony Blair wertete den Befund des Unmovic-Expertenteams – falls er so auch heute von Blix dem Sicherheitsrat vorgetragen wird – als eindeutigen Beweis für einen schwerwiegenden Verstoß Bagdads gegen die Resolution 1441.
Nach den Berichten von Blix und Baradei, die auf Antrag der Gruppe der blockfreien Staaten in der UNO-Generalversammlung in einer öffentlichen Sitzung des Rates vorgetragen werden, ist zunächst eine öffentliche Aussprache vorgesehen, an die sich eine interne Diskussion unter den Ratsmitgliedern anschließen soll. Es wird in New York nicht völlig ausgeschlossen, dass Großbritannien und die USA dann bereits den Entwurf einer Resolution vorlegen, in der unter Hinweis auf Blix’ Bericht über die verbotenen Raketen sowie eventuelle weitere Verstöße Bagdads ein militärisches Vorgehen autorisiert oder zumindest als Möglichkeit offen gelassen wird. Mit dem Argument, es sei nicht Aufgabe der UNO-Inspekteure, Detektiv zu spielen, sondern Bagdad habe die Bringschuld, die vollständige Erfüllung aller Auflagen aus der Resolution 1441 unverzüglich nachzuweisen, dürften Washington und London die von Frankreich initiierten Vorschläge für eine Intensivierung des Inspektionsregimes heute zunächst zurückweisen.
Doch ein solcher Entwurf würde nicht die erforderliche Mehrheit von neun Ja-Stimmen erreichen und zudem wohl auf ein Veto Russlands und/oder Frankreichs stoßen. Als wahrscheinlich gilt, dass dann in der nächsten, spätestens der übernächsten Woche folgender Kompromiss im Sicherheitsrat zustande kommt: Die Inspektionen werden verstärkt und um einige Wochen verlängert. Bagdad wird ein knapp befristetes Ultimatum gestellt für die von Blix und Baradei zu zertifiziernde vollständige Erfüllung aller Auflagen. Wenn Blix und al-Baradei dies nicht bescheinigen, hätten die USA und Großbritannien freie Hand für militärische Maßnahmen. Und Frankreich, Deutschland, Russland und China könnten erklären, dass sie einen Krieg nicht ausdrücklich autorisiert hätten.