britische und us-regierung schüren terror-hysterie: Der Kampf um die Köpfe ist verloren – jetzt folgt der Kampf um die Herzen
Wenn man den Regierungen in Washington und London glauben darf, stehen die USA und Großbritannien kurz vor der Zerstörung durch einen Terrorangriff – vielleicht schon morgen, wenn das muslimische Opferfest zu Ende geht. Die CIA und das FBI warnen, die USA könnten mit chemischen und atomaren – tatsächlich: radioaktiv verunreinigten konventionellen – Waffen angegriffen werden. Kein Horror scheint unglaubwürdig genug: In London zogen Panzer vor dem Flughafen Heathrow auf, denn, behauptet eine „glaubwürdige einheimische Quelle“, Al-Qaida habe eine tragbare Sam-7-Flugabwehrrakete nach Großbritannien geschmuggelt. John Reid, der Vorsitzende der Labour Party, sagte am Mittwoch, London stehe vor einem von den Größenordnungen her ähnlichen Anschlag wie dem, der „tausende von Menschen in New York getötet“ habe. Gestern nahm er das zurück: Er wollte eigentlich nur verdeutlichen, dass es bei den immensen Sicherheitsvorkehrungen nicht um eine Propagandaübung gehe.
Doch genau darum handelt es sich. In der Bevölkerung beider Länder hätte die ohnehin starke Abneigung gegen die Kriegspläne noch weiter zugenommen, wenn die Regierungen dem nicht entgegenwirkten. Weil ihnen die Beweise für einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen vom 11. September und Saddams Regime im Irak fehlen, wollen sie diese Verbindung wenigstens unter Zuhilfenahme von Tricks in den Köpfen der Bevölkerung herstellen. Und das funktioniert: Inzwischen glaubt in den USA und Großbritannien fast die Hälfte der Befragten, dass mindestens einer, wenn nicht sogar alle Attentäter vom 11. September Irakis waren. Vielleicht schafft es die US-amerikanisch-britische Propagandamaschine noch, die Menschen glauben zu machen, das Ussama Bin Laden und Saddam Hussein identisch sind.
Die kleine Panne mit dem britischen Regierungsdossier über Iraks Waffenarsenal, das von Colin Powell als „vorzüglicher Beweis“ gepriesen wurde, sich aber als Plagiat veralteter Papiere entpuppte, ist ein Hinweis darauf, wie weit die beiden Regierungen zu gehen bereit sind. Dazu passt auch die Aufgeregtheit, weil Ussama Bin Laden in seiner Tonbandansprache alle Muslime zu Selbstmordattentaten in Großbritannien und den USA aufgefordert haben soll. Dabei hatte er nur die „Märtyrer“ gelobt.
Den Kampf um die Hirne der Bevölkerung können die Regierungen nicht gewinnen – dafür ist das Beweismaterial zu dünn. Also kämpfen sie um die Herzen der Menschen und bauen ein Schreckensszenario als Rechtfertigungsgrundlage für den Krieg auf. Schlimm genug, dass Attentate durchaus möglich sind. Jetzt aber hat es den Anschein, dass die Bevölkerung über die Angst vor einem Anschlag ihre Zweifel am Krieg vergessen soll. RALF SOTSCHECK
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