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Schriftgestaltung ist eine Königsdisziplin des Designs. Die Bremer Typonauten verfügen über die nötige Akribie dafür: Schon zum zweiten Mal hat die Stiftung Buchkunst die Gestalter-Werkstatt prämiert. Dabei gibt’s die erst seit Dezember 2000
Es ist der Blick. „Als ich Dead Man gesehen habe“, erzählt Ingo Krepinsky, „fiel mir dieses Schild von der Stadt Machine auf.“ Eine außergewöhnliche Erinnerung an Jim-Jarmuschs schrägenWestern: Andere Besucher dürften eher den zertretenen Schädel des Kopfgeldjägers, den skurrilen Soundtrack oder den apathischen Johnny Depp bemerkenswert gefunden haben. Oder aber die krude Verwechslungsstory um den Buchhalter William Blake, der für den englischen Dichter gehalten wird bloß weil er den gleichen Namen hat.
Um stattdessen gerade das Ortsschild zu bemerken, bedarf es wohl der Sicht eines diplomierten Schriftdesigners. „Mir ist dabei aufgefallen“, erzählt Krepinsky, „dass es eigentlich keine richtige Western-Type gab“. Eine nämlich, die das Unregelmäßige der damals von Malern gestalteten Texte erfasst hätte. Also entstand Oklahoma. Als „eine „serifenbetonte Fun Egyptienne“ schildert die Fachpresse die Schrift: Mal stampfen die Buchstaben-Beinchen superfett auf, mal schweben sie dünn und blässlich knapp über der Basis. Das große H macht sich entsetzlich breit, das S ist dafür umso schmaler. Wie handgemalt. Und doch computerkompatibel.
„Kaffee?“ Krepinsky schenkt ein. Die „Agentur und Type Foundry die Typonauten“ ist ein spartanisches Büro. Linoleum in Beige, Ikea-Regale, Ordner, zwei aufgeräumte Arbeitsplätze, ein Flachbrettscanner. Ein Tischchen und eine Couch: Mehr braucht’s nicht.
Klick. Die Mouse huscht über’s Pad. An einem Rechner sitzt ein junger Mann mit lichtem roten Haar – Krepinskys Kollege Stefan Krömer. Er schautkonzentriert auf den Flachbildschirm. Klick, Seite in Großansicht, klick, Detail. Rote Buchstaben? Klick, nächste Seite: Rote und schwarze Buchstaben! Der dritte Mann ist Christoph Hanser. Krepinsky ist 27 Jahre jung, Krömer 26. Hanser ist der Senior: Jahrgang ’73. Er verkörpert die Hamburger Dependance der Schrift-Werkstatt.
Oklahoma sei ohne Auftrag entstanden, erklärt Krepinsky. Einfach so ins Schwarz-Weiße hinein. Auf diese Weise schaffen sich die Typonauten ein Repertoire origineller Fonts, die sie frei anbieten oder für Projekte modifizieren können: Dimitri etwa, eine kyrillisch inspirierte Schrift. Oder, klassisch, Weimar. Oder „Nautilo“, die ursprünglich die corporate identity eines fürs Diplom ersonnenen Spezial-Unternehmens für Unterwasserreisen charakterisierte. Mittlerweile existiert sie in drei Varianten. Und ziert Flyer, Kalender und Buchdeckel.
„Die Hauptarbeit macht die Spationierung.“ Die Abstände zwischen den Buchstaben bestimmen die Lesbarkeit. „Deshalb würde es so lange dauern, eine Textschrift zu machen.“ Wie lange? „Na, sicher drei Jahre.“ Aber irgendwann, in ferner Zukunft würden sie das auch in Angriff nehmen.
Kennen gelernt haben sich die Gestalter an der Fachhochschule Hannover, wo sie auch ihre Diplome abgelegt haben – im Sommer 2000. Kurz bevor sie ihre Firma gegründet haben – in einem nüchternen Wohnhaus in Bremens Alter Neustadt: An der Hochschule für Künste absolvieren die beiden Neu-Bremer ein Zweitstudium.
Stefan Krömer steht auf. Er holt eine Kladde – die Skizzen für „Dimitri“. In einem Adressbuch hat er, zu jedem Buchstaben, russische Impressionen festgehalten: Fotos, Flaschenetiketten, Ikonen. „Ja“, sagt er, „vor allem seit es Digi-Kameras gibt, geht man auch mal auf Suche in der Stadt.“ Denn Buchstaben sind omnipräsent: Eingang, Ausgang, Drücken, Ziehen, Sonderangebot, Vorsicht elektrischer Betriebsraum! Fast alles ist etikettiert – mit gestalteter Schrift. „Unglaubliche Fehler“ könne man da entdecken. So habe er einmal in Düsseldorf Klebebuchstaben in einem Schaufenster gesehen, „da war das S falsch rum“. Mit der dicken Seite nach oben. „Das sieht dann so kröpelig aus …“ Er setzt sich wieder an den Rechner. Ein Blick über die Schulter, wie zur Entschuldigung: Der Termin fürs neue Projekt steht bereits. „Es wird langsam knapp“.
In München hat einer der Typonauten-Auftraggeber seinen Sitz. Warum man deren Entwurf fürs Logo ausgewählt habe? Der Sprecher des Spartensenders Sport1 muss nicht lange überlegen. „Weil er den Produktkern optimal transportiert“, so Thomas Medau, „und wegen des perfekten Folgespiels mit der Brandline“. Was heißen soll: Das Logo sieht sportlich aus. Und bindet den Slogan prima ein. Andere Referenzen: Der NDR, das Goethe-Institut in Montevideo, die Literarische Woche Bremen 2002 …
Die meiste Akribie erfordert aber der Buchsatz. „Das ist die Königsdisziplin“, sagt Ingo Krepinsky. „Da muss alles zusammen passen.“ Dass sie sich in dieser besonders gut bewegen, haben sie bereits bewiesen: „Das zeigt, dass die einfach gute Arbeit leisten“, kommentiert Jana Mayer-Stoltz von der Stiftung Buchkunst die zwei Auszeichnungen bei dem Bibliophilen-Wettbewerb „Die schönsten deutschen Bücher“ : Unter jeweils mehr als 800 Konkurrenten haben die Typonauten im Jahr 2001 mit dem Titel „Begriffsstudio“ einen Platz in den Top-fifty belegt. Und 2002 war „Eisenbahn“ von Andreas Scholz eines der schönsten deutschen Bücher. „Bei beiden konnten wir eine von unseren Schriften verwenden“, freut sich Krepinsky. Zu sehen ist der Band momentan bei der Bremer Buchhandlung Liebrecht und Kläfker: Dort macht die alljährliche Wanderausstellung der Stiftung Station.
Klick, Großansicht, klick, Detail: Auch das neue Projekt ist ein Buch. Ambitionierter noch als die Vorgänger. „Die Hochzeit von Himmel und Hölle“ heißt das Werk. Der Autor? William Blake. Verwechslung ausgeschlossen.
Benno Schirrmeister
Die schönsten deutschen Bücher 2002, Ausstellung in der Buchhandlung Liebrecht & Kläfker. Bis 1. März