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Archiv-Artikel

Privattheater für Reiche

Ein Film über das Machtgefälle zwischen Psychoanalytiker und Patient, Performanz und Identität, Hören und Reden, Männer und Frauen: „Empathy“ im Forum der 28-jährigen amerikanischen Dichterin, Videokünstlerin und Regisseurin Amie Siegel

von DETLEF KUHLBRODT

Die Psychoanalyse ist ein ganz schön großes Thema mit tausend Aspekten. In der Redekur versucht der Patient mit Hilfe seines Arztes, die Wahrheit über sich herauszufinden, die dunklen Flecken in seiner Biografie zu entdecken, auszusprechen, das schlimme unverarbeitete Ereignis vielleicht, das ihn bestimmt und dazu führt, dass in der Liebe und der Arbeit alles schief läuft. Die Rollen in der Therapie sind klar verteilt – hier der Patient, der dafür bezahlt, dass er alles preisgibt, da der Therapeut, der dafür bezahlt wird, sich die intimsten Geschichten seiner Patienten anzuhören und vor allem die Deutungshoheit besitzt sozusagen. Denn die Geschichten, die der Patient erzählt, sind nur das quasi chaotische Rohmaterial, das erst durch die Interpretation des Arztes geordnet wird, auf das der an seiner Seele erkrankte wieder liebes- und arbeitsfähig werde. So stellt man sich’s vor.

In ihrem Film „Empathy“ setzt sich die 28-jährige amerikanische Dichterin, Videokünstlerin und Regisseurin Amie Siegel mit den Rollenverteilungen in der Kur auf verschiedenen Ebenen auseinander; mit dem Machtgefälle zwischen Arzt und Patient, mit den mehr oder minder ausgeprägten Formen der Selbstinszenierung des Patienten; mit anderen Formen der Selbstinszenierungen in „intimen“ Interviews, die Schauspielerinnen im Fernsehen etwa geben; „Empathy“ handelt von Performanz und Identität, Hören und Reden, Männern und Frauen.

Auf einer Ebene des Films sprechen Psychoanalytiker über ihre Praxis, über Patientinnen, die mit ihnen schlafen wollten, über ihr eigenes Begehren, dem sie nicht nachgeben dürfen, über ihren eigenen Voyeurismus, den die Patienten mit ihren intimen Geständnissen befriedigen, über Verantwortung natürlich. Auf einer anderen Ebene sieht man pseudointime Interviews von SchauspielerInnen, auf der nächsten Ebene spielt ein Schauspieler einen fiktiven Psychoanalytiker und entpuppt sich später als echter Psychoanalytiker.

In einer Bar erzählt eine Freundin ihrer Freundin von einer tollen sexuellen Begegnung, ihre Geschichte klingt jedoch irgendwie ichfern, als sei sie selber nicht dabei gewesen, während ihre Freundin Scheu hat, über Sexuelles zu sprechen, dies Sprechen andererseits aber wieder bei ihrem Analytiker genießt. In einem der Filme im Film geht es um Verbindungen zwischen Psychoanalyse und moderner Architektur, um einen berühmten Architekten, der seine Auftraggeber darum bat, ihm ihre Tagebücher zu geben, damit er das Haus ihnen gemäßer bauen konnte; um die Parallelisierung der Aufbrechung der Grenzen von innen und außen, sowohl in der modernen Architektur als auch in der Redekur.

Das mag alles etwas verwirrend klingen; der Film jedoch ist sehr klar. Irgendwie seltsam zwar, dass das Leiden der Patienten nie thematisiert wird, andererseits scheint die Analyse in den USA gar nicht so sehr dafür gebraucht zu werden, einen Kranken wieder gesund zu machen, sondern ist wohl eher Statussymbol, Teil einer seltsamen Selbstinszenierung, Privattheater. Während man dem angenehm spielerischen Film zuschaut, landet man plötzlich in begleitenden Privatfilmen, die im eigenen Kopf ablaufen, und findet sich danach plötzlich – das ist das Schöne an der Berlinale – im Gespräch mit zwei psychoanalytisch gebildeten jungen Männern, die erzählten, sie seien neulich bei diesem Wim-Wenders-Workshop gewesen. Da habe jemand Dennis Hopper gefragt, wieso er Bush gewählt habe. Dennis Hopper sei dann gar nicht mehr locker gewesen. Wim Wenders habe gesagt, wenn er nicht hier sitzen würde, würde er im Kino an der Kasse sitzen, Karten abreißen, und der junge Mann sagte, das sei ja eine Gemeinheit gegenüber allen Kartenabreißern und er hoffe nicht, dass er einmal so werden würde wie Wim Wenders.

Später saß Amie Siegel mit einer Freundin im Delphi-Café. Beide lachten, als sie hörten, dass sie in der Kantstraße wären, weil Kant ja genauso klingt wie „cunt“, also „Votze“. Amie Siegel, die als Stipendiatin noch ein halbes Jahr in Berlin leben wird, trank Tee. Beeindruckend, wie viele Sachen die 28-Jährige bislang schon gemacht hat: in Chicago Film, Literatur und Kunstgeschichte studiert. 1994 ihren ersten Film gemacht. Fünf weitere folgten. Außerdem verschiedene Videoinstallationen, und 1999 hatte sie ihren ersten Gedichtband veröffentlicht. „Eigentlich hab ich gar kein eigenes Leben.“

Einige der Psychoanalytiker aus dem Film hatten auf dem Campus der Universität in Chicago eine Art Stammtisch. So hatte sie sie kennen gelernt. Ihr Vater sei Psychoanalytiker, also habe es schon eine biografische Nähe zum Thema gegeben. Eine Weile noch unterhielten wir uns über die Unterschiede zwischen der amerikanischen, eher funktionsorientierten Analyse und ihrer europäischen Variante. Eine Therapiestunde in den USA würde zwischen 100 und 250 Dollar kosten. Dann war es auch schon wieder Abend.

Heute, 15.30 Uhr, CinemaxX, 22 Uhr, CineStar