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Archiv-Artikel

Völlig losgelöst

Das Haus, ein Setzkasten: Heinz Emigholz’ „Goff in der Wüste“ im Forum dokumentiert in chronologischer Abfolge 62 Bauten des verstorbenen Bruce Goff. Der US-Architekt schien eher von der ornamentalen Bildmächtigkeit Hollywoods fasziniert als von der reinen Lehre des Modernismus

In der Stadt verliert man den Blick für Natur. Zum Glück hilft einem während der Berlinale das Kino mit schönen Bildern aus, auf denen sich Bäume zu japanischen Wäldern versammeln, an deren Rändern Huflattich blüht. Der Architektur geht es im Film umgekehrt: Von den White-Collar-Palästen in London oder am Potsdamer Platz bleibt nur schimmernde Oberfläche – wenig Raum für Orte, wo Leben ist.

Angesichts solch beengter Verhältnisse schafft „Goff in der Wüste“ von Heinz Emigholz einen enormen Dimensionssprung. In 110 Minuten dokumentiert der Film in chronologischer Abfolge 62 Bauten des 1982 gestorbenen US-Architekten Bruce Goff, von denen ungefähr noch 80 existieren. Es sind wundervolle, vertrackte Häuser aus bald 60 Jahren, von der frühen 20er-Jahre-Villa im Mittelwesten bis zum Museum für japanische Kunst in Los Angeles, das 1979 fertig gestellt wurde.

Wie viel planerischer Eigensinn dabei in jedem einzelnen Projekt steckte, merkt man schon den ersten Einstellungen an. Goff ist gerade mal Anfang 20, als er 1925 die Episcopal Church in Tulsa, Oklahoma, mit entwirft – ein spukschlossartiges Gebäude, dessen Friesfiguren an die Tempel aus D. W. Griffith’ „Intolerance“ erinnern. Überhaupt scheint Goff eher vom Zauber und von der Bildmächtigkeit Hollywoods fasziniert zu sein als von der reinen Lehre des Modernismus. Überall fügt er Ornamente ein, kein Winkel bleibt ohne visuelle Überraschung – das Haus wird zum Setzkasten aus Holz, Edelsteinen, Glas und Zinkblechen. Den Satz, dass Form der Funktion folgt, hätte der detailverliebte Goff nie unterschrieben, weshalb er Mies van der Rohe auch als Negativbeispiel für gutes Bauen diente.

Nicht ohne Folgen. Auf Großaufträge musste Goff zeitlebens verzichten. Mit seinem Film holt Emigholz ihn also nicht bloß aus der Vergessenheit zurück, er stellt überhaupt den Siegeszug des International Style in Frage. Dabei weiß er um die Tücken des Objekts: Zahllos sind die gut fotografierten Coffee-Table-Bücher zeitgenössischer Luxushäuser, die eine unerträgliche Langeweile von „schöner Wohnen“ vermitteln. Emigholz aber zeigt eine „Utopie ohne Dramaturgie“, bei der selbst im unscheinbaren Gebäude am Straßenrand heute noch der Geist von Goff lebt – als Rascheln der Blätter, als Surren der Ventilatoren. In den Bildern dieser Architektur fühlt man sich bald wie auf sanften Drogen. Ziemlich losgelöst. HARALD FRICKE

Heute, 17.15 Uhr, Arsenal; morgen, 19.15 Uhr, CineStar