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Archiv-Artikel

Ohne Regeln

Die Rache der guten Note: Das Grips Theater taucht mit dem Stück „Klamms Krieg“ tief in die Psyche eines Lehrers

Erwachsene sind im Grips Theater oft Karikaturen. Die Stücke packen sie bei den faulen Kompromissen ihres Lebens und schlagen sich auf die Seite der Kinder. „Klamms Krieg“ ist anders. Kai Hensels Stück taucht tief in die Seele eines Lehrers. Klamm darf den Schülern all das ins Gesicht schleudern, was Lehrer sonst nie sagen dürfen. Sein Monolog gleicht einem kollektiven Stoßseufzer engagierter Pädagogen, die verzweifelt sind über den Verlust der alten Ideale durch die Gleichgültigkeit der Schüler und des Kollegiums.

Bei der Premiere im Grips Theater erwischte er damit eine zehnte Klasse in der ersten Reihe und ihre Lehrer etwas weiter weg. Sie alle grinsten still in sich hinein. Haben wir doch immer geahnt, so die Schüler, wie schwarz es wirklich in so einer stets Besorgnis hervorkehrenden Seele aussieht und wie mühsam die Gelüste nach Rache unterdrückt werden. Ein klammes Gefühl eben. Kriegen die das endlich mal mit, welche Widersprüche man in der Rolle des Lehrers ständig aushalten muss, dachten sich dagegen die Klamms im Publikum.

Angekündigt wird das vom Familienministerium ausgezeichnete Stück als „provozierender Monolog über Gewalt in der Schule“. Aber anders als das nach dem Amoklauf in Erfurt räsonierende Feuilleton treibt es keine Ursachenforschung in Gesellschaft, Videospielen und Jugendkultur, sondern beschreibt minutiös, was mit dem Lehrer in dieser Situation geschieht, wie er seinen Spielraum überall enger werden sieht. Indizien für den Untergang des Abendlandes findet er überall. Seine Paranoia wird zum Teil des Systems.

In Cordjackett und schwarzem Rollkragen, Kreide zerkrümelnd und ständig dabei, seine Schlüssel zu verlieren, spielt Frank Engelhardt den Klamm sehr naturalistisch. Anfangs ist er der beleidigte Einzelkämpfer, dem die Schüler den Krieg erklärt haben, weil sie seine Anforderungen zu streng und seine Noten ungerecht finden; den die Kollegen ignorieren, weil er die Vereinbarung, möglichst beliebt bei den Schülern zu sein, stört. Dann aber kehrt Klamm den Spieß um und gibt nach. Da erst wird es wirklich gemein – und kompliziert. Ab jetzt verletzt er die Spielregeln, die Schule ausmachen. Er sucht die Komplizenschaft der Schüler und zieht über andere Lehrer her. Er gibt bereitwillig auch auf nichtige Klausuren gute Noten. 15 Punkte, warum nicht, das Abitur ist eh nichts mehr wert, höhnt er, und arbeitslos werdet ihr sowieso. Er nimmt sich selbst nicht mehr ernst. Da merkt man erst, wie hilfreich doch die Einhaltung von Rollen ist. KATRIN BETTINA MÜLLER

In der Schiller-Theater-Werkstatt und in Klassenzimmern, Info 39 74 74 16