Gespaltene Grüne

Morgen will der erweiterte Bundesvorstand der österreichischen Grünen über weitere Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP entscheiden

aus Wien RALF LEONHARD

Sechs zu vier steht es am politischen Stammtisch der Grünen Bezirksgruppe Meidling. Nur vier sind strikt dagegen, dass die Parteispitze sich mit der konservativen ÖVP auf Koalitionsverhandlungen eingelassen hat. Sechs wollen abwarten, was dabei herauskommt. Eine Zwischenbilanz muss das Verhandlungsteam am Sonntag dem erweiterten Bundesvorstand vorlegen. Das Gremium, in dem alle Landesorganisationen vertreten sind, entscheidet dann, ob es sich lohnt, weiter zu verhandeln.

Meidling, Wiens 12. Bezirk, ist ein traditioneller Arbeiterdistrikt. Die Grün-Vertreter sind aber mehrheitlich Intellektuelle. Bei vegetarischem Moussaka und Bier vom Faß sitzt man im „Brot und Rosen“, dem Lokal eines von der Partei geförderten Kulturvereins. Normalerweise geht es hier um lokale Aufreger wie geplante Autobahnzubringer durch Kleingartensiedlungen oder die Parkraumbewirtschaftung im Marktbereich. Diesmal wird das Schicksal der Republik diskutiert. Denn seit der letzten Sitzung vor 14 Tagen hat sich die Welt verändert: erstmals besteht die Chance – oder Gefahr – in einer Bundesregierung mitzugestalten.

Bernd sieht die positiven Aspekte: „Die mediale Präsenz der Grünen war noch nie so groß.“ Er ist zwar skeptisch, dass bei den Verhandlungen etwas herauskommt, „ich bin aber dafür, dass man das auslotet. So viel Vertrauen habe ich zu den Leuten, dass sie sich nicht über den Tisch ziehen lassen.“ Immerhin, das Angebot der ÖVP beweise, dass die Grünen regierungsfähig sind.

Dass die Grünen seit Tagen alle Medien beschäftigen, finden zwar alle gut, doch Stefan kann sich nicht erklären, was die Parteiführung in den streng geheimen Gesprächen auslotet: „Ich weiß genau, was der Schüssel für ein Mensch ist. Da brauch ich keine 14 Tage, um das herauszufinden.“ Ein paar Kabinettsposten für die Chefs sind für ihn zu wenig Argument für eine Regierungsbeteiligung.

Volker ist der Chef der Gruppe und weiß, dass man in der Politik Konzessionen machen muss: „Das Gesamtpaket muss stimmen, ich muss das Gefühl haben, es ist für das Land und die Partei besser so.“ Eine Grundvoraussetzung für seine Zustimmung zu einer schwarz-grünen Regierung: „Im Menschenrechtsbereich darf nichts schlechter werden.“

So bescheiden will sich Werner nicht geben. Er zählt die Positionen auf, mit denen die Grünen in den Wahlkampf gegangen sind: „Der Bildungszugang muss wieder absolut frei sein; an der Neutralität darf nicht gerüttelt werden; die Frauenrechte müssen massiv gestärkt werden.“

Veronika schließt aus, dass es auf dem Gebiet des Fremden- und Asylrechts zu einer akzeptablen Einigung mit der ÖVP kommt. Sie hält den derzeitigen Innenminister für einen hoffnungslosen Fall: „Es ist nicht machbar, weil mit Strasser ist nichts machbar.“

Dass die Wiener Landesparteiorganisation am Montag den Beschluss gefasst hat, für den Abbruch der Verhandlungen zu werben, finden die meisten beschissen. Volker hat zwar Verständnis für die Sorge: „Aber die Frage ist: störe ich am ersten Tag die Verhandlungen?“ Er hat den Verdacht, dass es einigen um persönliche Profilierung geht: „Da wollen einige Leute in der Zeitung vorkommen.“

Veronika ist beunruhigt über die Gerüchte, die aus den hermetisch verschlossenen Verhandlungsräumen dringen. Für sie ist es Zeitverschwendung, mit der ÖVP brauchbare Kompromisse zu suchen: „Stattdessen sollte man unsere Themen platzieren, Neuwahlen abwarten und wieder Wahlkampf machen. Dann gewinnen wir eine rot-grüne Mehrheit.“