: Was war jetzt der Trick?
Lasst uns doch Frieden aus dem Hut zaubern: Ingrid Lausund inszeniert „Konfetti! Ein Zauberabend für politisch Verwirrte“ am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg
Je mehr die Theater in der letzten Zeit versuchten, politische Themen in ihrem ganzen Ausmaß auf der Bühne zu verhandeln, desto ferner rückte das politische Kabarett. Die Aufklärungsarbeit des Kabarettisten als altbackener Held, der der Sprachlosigkeit des kleines Mannes Luft macht, ist mit der Ästhetisierung der Politkritik ins Abseits geraten. In Ingrid Lausunds neuem Stück, das sie selbst am Deutschen Schauspielhaus uraufführte, befinden wir uns nun wieder dort, wo das Sprachspiel der Kabarettisten seinen Anfang nahm: In einem Tanzteesaal, wo der restaurative Mief der Adenauer-Ära noch in der grauen Textilwandbespannung steckt. Links stehen ein paar weiß gedeckte Tisch, im Hintergrund über die ganze Breite eine Kleinkunstbühne. Die drei männlichen Gäste an den Tischen tragen Smoking, die zwei Frauen Abendgarderobe. Die Gäste werden deformiert eingeführt: Therapie, Sportprogramm, Abhöranlagen, die man in der Marmorsäule wittert, Angst vor Sprengstoff unter den Sitzen oder in Hochsteckfrisuren – das ist der Gesprächsstoff aus dem depressiven Krisendeutschland einen Tag vor der weltweiten Friedensdemo.
Der Tanz- und Speisesaal ist jedoch nur die Peripherie, durch die über ein paar Treppen der Weg hoch auf die Kleinkunstbühne, das eigentliche Hoheitsgebiet dieses Abends, führt. Dort stehen die Figuren, halten kleine Monologe oder spitzen ihre Auftritte in verslapstickten kleinen Varieténummern zu: weiße Kaninchen aus dem Hut zaubern, Tücher im Ärmel verschwinden lassen, Tischtennisbälle aus dem Mund schieben, als lege eine Henne Eier im Rekordrhythmus. Magische Wunderkisten tauchen auf der Bühne auf, legt man eine Wurst unter die Silberschüssel, kommt unter der anderen Geld hervor. So einfach ist das mit dem Wirtschaftskreislauf oder etwa nicht? „Was war jetzt der Trick und wovon sollte er ablenken?“ Das ist der Lieblingssatz, mit dem sich die Schauspieler immer wieder ihre kleinen Vorführungen unterbrechen.
„Konfetti! Ein Zauberabend für politisch Verwirrte“ lautet der umständliche Titel, und es bleibt verrätselt in der Schwebe, ob mit den Zauberern nun die Politiker oder die Konsumenten gemeint sind. Beides wäre möglich, denn das Tricksen und Täuschen stellt sich hier als die Natur der Figuren heraus, und so wie sie in ihren Zaubernummern erst richtig in Fahrt geraten, ziehen sie auch die Problematik des Bananenimports, organisierter Friedensdemos, Verwertungsketten und Verweigerungshaltungen langsam, aber sicher mit aus dem Hut. Man kann das allzu harmlos finden, aber es ist mehr als Varieténummernspiel. Der Abend ist dem desolaten Gefühl von Kriegsangst und Ohnmacht geschuldet, auch wenn der Ausnahmezustand als Heile-Welt-Zauberspiel daherkommt.
Die fünf Schauspieler legen allesamt fulminante Soli furiosi vor. Viel Slapstick und viel Verzweiflungschoreografie liefern den Zuschauern viele Ablenkungsmanöver von dem, worum es eigentlich in dem Text geht: Wie kann man selbst sein, wenn alles um einen herum manipuliert wird? Die Reaktion auf die totale Überforderung ist bei Lausund die verdoppelte Verweigerung alles Politischen: „Ich tue nichts, weil ich gar nicht weiß, um was es geht.“ Der hohe Schmunzelfaktor hält die Verzweiflung in Zaum. Und wenn die Figuren mit leicht hängenden Köpfen an ihren Tisch zurückschleichen, bleibt zumindest die Abendkleidung in Form.
In der Dichotomie kann es Lausunds Text mit den theorielastigeren Stücken aufnehmen, in denen Sachbuch-Sätze zu gut gepflegter Komplexität führen. Lausund experimentiert mit der Tradition des politischen Kabaretts und reichert sie mit vielen fantasievollen Einfällen an, bei denen man sich zurückgelehnt unterhalten lassen kann. Und während man tiefer in die Stühle rutscht, steigt ein Riesenballon hoch, auf dem ein TV-Sprecher nur gute Nachrichten verliest: Bush und Hussein haben ihr Kriegsbudget in einen Hilfsfonds eingezahlt, der Nahostkonflikt ist beigelegt, alle UN-Staaten haben sich endlich verpflichtet, die Menschenrechtsverpflichtungen umzusetzen. Mit heiligen Ernst klingt die Utopie: der Traum vom Sieg der Vernunft über das Ungeheuerliche, und das einfach per Knopfdruck, wenn man heute Abend den Fernseher anstellt. So einfach wäre das und unserer Zeit so fern. SIMONE KAEMPF