piwik no script img

Archiv-Artikel

ÖSTERREICH: DIE KURZROMANZE ZWISCHEN ÖVP UND GRÜNEN IST ZU ENDE Charme allein reicht nicht

Charme hätte sie, eine schwarz-grüne Koalition in Wien. Dieser Kommentar war von Seiten der Österreichischen Volkspartei ÖVP schon kurz nach den Wahlen zu hören – lange bevor eine solche Paarung zur ernsthaften politischen Option wurde. Die einen reizte die Lust am Neuen, einer in Europa beispiellosen Zusammenarbeit auf Regierungsebene. Andere hofften auf die Grünen als liberales Korrektiv für ihre Partei, die in den letzten Jahren von ursprünglich christlich-sozialen Positionen deutlich nach rechts gerückt ist. Schließlich hat die ÖVP vor allem während der Koalition mit der FPÖ eifrig Demokratie- und Sozialabbau betrieben.

Nach einem Wahlkampf, in dem die Volkspartei die Grünen als gewaltbereite Drogendealer verunglimpft hatte, zeigten sich deren Verhandler zunächst angenehm überrascht über den verbindlichen Umgangston bei den Sondierungsgesprächen. Und auch ÖVP-Chef Schüssels Leute sparten nicht mit Lob für die fachlich erstaunlich sattelfesten Grünen-Vertreter. Doch das freundschaftliche Klima konnte nicht lange darüber hinwegtäuschen, dass beide Parteien in Grundsatzfragen zu viel trennt. „Wir stehen ideologisch auf verschiedenen Ufern“, kommentierte Nationalratspräsident Andreas Khol seine Gespräche mit dem grünen Sicherheitssprecher und Skandalaufdecker Peter Pilz, „aber wir können miteinander reden.“

Letzten Endes jedoch erwiesen sich die ideologischen Gräben als nicht überbrückbar. Wolfgang Schüssel war klar, dass er seinen Verhandlungspartnern weit entgegenkommen musste, wenn er einen für die grüne Basis akzeptablen Koalitionspakt zustande bringen wollte. Ob er dazu aber auch bereit war, muss bezweifelt werden. Sonst hätte er nicht gerade in der heißen Verhandlungsphase einen rot-grünen Beschluss der Wiener Stadtregierung, Ausländern mit fünf Jahren Aufenthalt das kommunale Wahlrecht zuzugestehen, mit seinem Einspruch torpediert. Auch in der Integrationspolitik war der grüne Ansatz – Anreize statt Zwang und Strafen – mit der ÖVP nicht zu vereinbaren.

Wirtschaftspolitisch wiederum musste die ÖVP auf ihre eigene Basis in Wirtschafts- und Bauernbund Rücksicht nehmen. Eine radikale Ökologisierung des Steuersystems etwa kann sie diesen Leuten einfach nicht zumuten. Und Abfangjäger sind eben nicht nur eine Frage der Souveränitätssicherung, sondern aufgrund der mit ihnen einhergehenden Kompensationsgeschäfte auch ein Wirtschaftsfaktor. Bei so schwerwiegenden Differenzen im ökonomischen Denken und in der gesellschaftspolitischen Philosophie musste sich der hohe Charmefaktor des schwarz-grünen Frühlings wohl schnell als für eine politische Zusammenarbeit nicht ausreichend erweisen. RALF LEONHARD