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Archiv-Artikel

Auf Mission in Berlin

Seit 1997 war er auf keiner Demo mehr. Aber diesmal ist Bert Stach mit Familie von Kiel nach Berlin gekommen

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Jedenfalls hat der Kleine was gelernt. Leise skandiert Eric, der bald fünf Jahre alt wird, „Hoch die internationale Qualität“ vor sich hin und malt Hubschrauber auf die Rückseite von Gratispostkarten aus der Restauranttoilette.

Alle am Tisch, also auch Erics Eltern Jana Bumbe und Bert Stach, sitzen hier mit hochroten Wangen und Ohren, nachdem sie den ganzen Tag draußen durch die eisigtrockene Berliner Kälte gelaufen sind. Wenn man sich im Restaurant umschaut, haben eigentlich alle Gäste diese verfrorenen Gesichter, und an den Aufklebern am Rucksack, den Stickern an den Jacken und anderen Utensilien ist zu erkennen, dass sie heute auch auf der Demonstration gegen den Irakkrieg waren. Als ob einfach die ganze Stadt da gewesen wäre – und alle ihre Gäste.

Für Eric waren ganz klar die Hubschrauber am Berliner Himmel das Interessanteste. Ihre Besatzungen dürften die Einzigen sein, die an diesem Tag den Überblick über die Menschenmassen hatten, die durchs Stadtzentrum Richtung Brandenburger Tor krochen und sich auf der Straße des 17. Juni, die hinterm Brandenburger Tor schnurgrade durch den Tiergarten verläuft, bis tief in den Nachmittag stauten.

Keine Frage wurde unten auf der Straße öfter gestellt als: „Wie viele sind wir?“ Die Polizisten, die sowohl die US-amerikanische als auch die britische Botschaft gegen Demonstranten abschirmten, trauten sich nicht, Zahlen zu nennen. Doch gegen halb drei vermeldete die Polizei, dass die Demonstration zu einer Kundgebung umdeklariert worden sei, weil sich nun wirklich nichts mehr bewege. Offizielle Teilnehmerzahl: fünfhunderttausend, damit die größte Friedensdemonstration in der Geschichte der Bundesrepublik.

„Antiamerikanisch? Unsinn!“

Schon als Bert, Jana und Eric am Alexanderplatz aus dem U-Bahn-Schacht auftauchen, ist klar, dass aus Berts offizieller Berliner Mission nichts wird. Eigentlich sollte er für die verdi-Bezirkszeitung Kiel-Plön Fotos seiner Gewerkschaftskollegen machen, wie sie, aus dem hohen Norden hergereist, in Berlin gegen den Krieg demonstrieren und ihrem obersten verdi-Chef Frank Bsirske zuhören, der einen der drei Hauptredebeiträge hält. Doch in dem Gedränge ist an Herumlaufen und Leutefinden nicht zu denken – es sei denn, man dirigiert sich einzeln und per Handy sorgfältig zu prominenten Punkten.

Eine gewisse Gudrun, verdi-Bezirksgeschäftsführerin Holstein-Süd, versucht`s und ruft Bert an, weil sie ihr Trüppchen mit dem Transparent „Neumünster für den Frieden“ verloren hat. Aber Bert kann ihr auch nicht helfen und hat plötzlich gar keine Lust mehr auf verdi-Fotos. „Dann ist es eben ein Familienausflug“, sagt er und nimmt Eric lieber wieder auf die Schultern, der sonst sofort losquengelt, wenn er auf einem Meter Höhe zwischen Mantel- und Daunenjackenhintern eingeklemmt wird.

Bert ist 33, SPD-Mitglied und seit einem halben Jahr Gewerkschaftssekretär von verdi Kiel-Plön. Das Fähnchen mit der Friedenstaube, noch vom Bonner Hofgarten 1983 her, hat er nicht mehr gefunden, sagt er – da tut`s jetzt auch eine kleine verdi-Nadel mit Friedenstaube am Mantelkragen. Auf einer größeren Demo war er zuletzt 1997 im Wendland, als der Castor gestoppt werden musste. „Es hat seitdem einfach keinen Anlass gegeben, der so dringlich und ungeheuerlich war, dass man unbedingt hätte demonstrieren müssen“, sagt er. Nö, mit psychologischen Dingen hat es nichts zu tun, dass die Kleinfamilie Bumba & Stach die ewig lange Autofahrt auf sich genommen hat, um zu demonstrieren. Alles eine rein rationale Abwägung des Sachverhalts.

„Antiamerikanisch? Das ist doch Unsinn. Und wenn schon – dann bin ich eben auch antiösterreichisch, wenn ich etwas gegen die österreichische Regierung sage, antiniederländisch, wenn ich …“ Schon gut, schon gut. Gegen diesen Vorwurf ist mittlerweile jeder wortreich gefeit.

Auch die Redebeiträge von den Podien haben viel damit zu tun, dass ja übrigens die US-amerikanische Friedensbewegung glücklich sei über die deutsche Mehrheitsmeinung. Ein Pappschild liegt schon mittags vorm Roten Rathaus im Matsch, zu erkennen sind bloß noch die Worte „George W. Hitler“. Allerdings scheint das Komitee zur Erdichtung von Demo-Slogans die Debatte um Antiamerikanismus nicht genau genug verfolgt zu haben. „U-S-A – Internationale Völkermordzentrale“ ruft ein gutgelauntes Trüppchen junger Zottelhaariger in Verkennung historischer Maßstäbe.

Bsirskes Rede hat er verpasst

Und wenn der Krieg in zwei Wochen vorbei und im Irak eine halbwegs demokratische Regierung installiert wäre, die USA in ihrer Logik also Recht behielten? „Dann hätten sie es immer noch gegen das Völkerrecht getan“, sagt Bert. „Außerdem geht es nicht um Recht oder Unrecht haben. Es geht darum, dass die USA in dieser Logik auch zum nuklearen Erstschlag ausholen könnten, wenn danach bloß irgendwann auch einmal eine Demokratie kommt.“ Eigentlich klingt er eher belustigt als empört – was sind das noch für Einwände, wenn doch die Mehrheit auch des Weltsicherheitsrats so deutlich gegen einen Krieg ist?

Ab dem Brandenburger Tor wird das Tempo langsamer, die Menge dichter. Ein Dutzend Punks baut sich unter dem Schild „Stoppt den Irren im Weißen Haus“ mit zwei Polizisten zum Gruppenfoto auf, wobei es wichtig zu sein scheint, dass der Junge mit den grünen Haaren gut zwischen den beiden grünen Uniformen zur Geltung kommt.

Noch als von der Hauptbühne vor der Siegessäule überhaupt nichts zu sehen ist, schallen aus zehn Meter hohen Boxentürmen Reden und Musik. Die Veranstalter fordern dazu auf, einen Euro in die „herumlaufenden Eimer“ zu spenden. „Wenn jeder einen Euro gibt, haben wir nächstes Mal das Geld für Videoleinwände beisammen, auf denen wir für euch dann Bilder von den anderen Demos simultan übertragen können“, ruft eine Frau. Es sieht aus, als leuchtete dieser Spendenzweck nicht allen ein. Allerdings ist der Jubel groß, als durchgegeben wird, dass in London eine, in Rom gar zwei Millionen Menschen unterwegs seien.

Bsirskes Rede hat Bert verpasst. Naja. Zu hören ist nurmehr, dass der Hamburger Schauspieler Rolf Becker, der noch bei keiner Kundgebung gefehlt hat, verdi-Chef Bsirske daran erinnert, dass die Gewerkschaften dazu neigen, Mehrheitsmeinungen zu vertreten. „Was aber, wenn die Regierung morgen wieder für einen Krieg ist? Wo stehen die Gewerkschaften dann?“ Bert findet das keine interessante Frage, zumal sich jetzt langsam leichte Ungeduld bei Jana und Eric breitmacht, die beide genug gesehen haben und nach heißen Getränken verlangen.

Man ist ruhiger geworden

Als Paddy Kelly von der Kelly Family zu singen anfängt, ist es auch mit der Höflichkeit einiger Demonstranten gegenüber den engagierten Künstlern auf der Bühne vorbei. „Hoch die internationale Solidarität!“, skandieren plötzlich ein paar hundert Leute. Obwohl Paddy immer noch besser singt als nach ihm das Trio Hannes Wader, Reinhard Mey und Konstantin Wecker. Früher, sagt Bert grinsend, hat er auch immer mitgebrüllt – „jeden Mist, so was wie ,Hopp hopp hopp, Atomraketenstopp‘ und so“. Aber man sei ja nicht nur älter und ruhiger geworden. „Die richtige Partylaune kommt schließlich doch nur auf, wenn man auf Antiregierungskurs ist.“