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: Birgit Haustedt kocht mit „Die wilden Jahre in Berlin“ noch einmal Supervamp-Mythen von Berber, der Dietrich oder Riefenstahl auf

Blauer Engel, blaues Licht

„Raus mit den Männern aus dem Herrenhaus. Wir machen daraus ein Frauenhaus!“, sang Claire Waldoff in den Zwanzigerjahren. Selbstbewusst stellte Berlins populärste Kabarettisten und bekennende Lesbe gewohnte Geschlechterrollen auf den Kopf. Um sie und andere rebellische Frauen geht es in Birgit Haustedts Buch „Die wilden Jahre in Berlin“. Die Autorin montiert Biografien, Schlagertexte und Zeitungsartikel zu einem bunten, aber oberflächlichen Panorama jener Zeit zusammen. Ihre „Klatsch- und Kulturgeschichte“ ist voller starker, schöner und unheimlich erfolgreicher Frauen, die scheinbar alles im Griff haben. Wie etwa die „erste Skandalnudel der jungen Republik“ – Anita Berber. Als Star der ersten Nackttanztruppe Deutschlands schockierte sie mit Drogenexzessen und wechselnden Männer- und Frauenbekanntschaften: „Dreiecksgeschichten, Viereckslieben, hin und her und über Kreuz“ werden en vogue.

Im Romanischen Café, dem Szenetreff der Zeit, begegnet man Schriftstellerinnen wie Erika Mann, und Vicki Baum tummelt sich in den Transvestitenlokalen der Hauptstadt. Tagsüber schreibt sie darüber in Modezeitschriften und stählt anschließend ihren Körper im Boxring. „Die Weimarer Superfrau nennt man sie. […] Mutter und Hausfrau, Redakteurin […] und Bestsellerautorin.“

Auch die „zwei berühmtesten Berlinerinnen“, Leni Riefenstahl und Marlene Dietrich, werden von Haustedt in diese Schablone der erotischen und unabhängigen Frau gedrückt. Anekdoten über gemeinsame Männerbekanntschaften, Begegnungen am Set des „Blauen Engels“ und die gegenseitige „Stutenbissigkeit“ reihen sich aneinander. Dabei lässt die Autorin kein Klischee aus. Hier die Regisseurin Hitlers, die „olympiareif Ski fahren“ konnte und sich in einer Männerdomäne behauptet hat, und dort das Bild der glamourösen Femme fatale, die zudem ihre Liebhaber bekochte und nebenbei Amerika eroberte. Der Mythos Marlene wird aufrechterhalten, indem die Auftritte vor US-Soldaten als bewusste Absage an Hitler interpretiert werden. Ihre apolitische Grundhaltung dagegen bleibt unerwähnt. Selbst widerlegte Lebenslügen werden neu aufgewärmt, indem etwa aus Riefenstahls Memoiren ohne kritische Hinterfragung zitiert wird. „‚Du bist sehr gut‘, sagte er, ‚ich könnte aus dir einen Star machen. Komm mit mir nach Hollywood!‘“ wird Josef von Sternberg in den Mund gelegt, der nach einer angeblichen Absage von Leni einfach mit Marlene nach Amerika ging. Haustedt berücksichtigt mit keinem Wort neuere Biografien, die diese Geschichte aufgrund falscher Datierungen als nachträglichen Mystifikationsversuch Riefenstahls entlarven.

Diese verklärende Herangehensweise ist konstitutiv für das ganze Buch. Die Zwanzigerjahre erscheinen als skurriles Spaßzeitalter, dem erst die Nazis eine Ende setzten. Dabei begann die beschriebene Glitzerfassade schon vor 1933 durch Wirtschaftskrisen und politische Unruhen zu bröckeln. Eine Emanzipationsgeschichte der Frau wird unter Ausklammerung der geschichtlichen Eckpfeiler erzählt: Dass erst die zerstörte Identität der Heimkehrer des Ersten Weltkrieges ein progressives Frauenbild ermöglichten, wird verschwiegen, wodurch der Eindruck eines plötzlich aufkommenden neuen Frauenselbstbewusstseins entsteht.

Dabei ist das Frauenbild, das Birgit Haustedt beschreibt, sehr unrealistisch. Sportliche Schönheiten, die beruflich Karriere machen und dabei die Familie nicht vernachlässigen, werden von ihr als Prototyp der modernen Frau gezeichnet. Letztendlich reproduziert sie damit ein urmännliches Wunschdenken vom sexuell-attraktiven Vamp, der zugleich ein familienkompatibles Hausmütterchen ist. Die Kehrseite solcher Superfrauen, ihre Schwierigkeit, sich in der neuen Rolle zurechtzufinden, scheint die Autorin nicht zu interessieren. AYGÜL CIZMECIOGLU

Birgit Haustedt. „Die wilden Jahre in Berlin“. BvT, Berlin 2002, 253 Seiten, 13,90 €