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Archiv-Artikel

Meine Zeit mit Paul McCartney

Zu Besuch bei dem beliebten Jäger und Sammler in seiner heimeligen Höhle

Mit großem Gebrüll stürzt McCartney aus seiner Höhle: Er will nämlich auf die Jagd gehen

Ich treffe Paul McCartney in seiner Höhle in Schottland, in der er sich seit einigen Jahren aufhält. „Oink, oink“, sagt Paul McCartney zur Begrüßung, da er sich eine neue Sprache ausgedacht hat. „Träsch, träsch“, ergänzt er dann, und ich werfe meine Jacke in eine dafür vorgesehene Höhlenecke. Vielleicht wollte er aber auch nur, dass ich meine Füße abtrete.

Jahrelang hatte sich Paul McCartney um den schönsten Ausdruck bemüht. So stammen zum Beispiel die Wörter „septemberzart“ und „amöbenweich“ von ihm. Eines Tages durchschaute er die Sprache jedoch als ein Zeichensystem und ihm wurde bewusst, dass man mit ihr nicht wirklich etwas erfassen und ausdrücken kann. Danach veröffentlichte er drei Romane, die alle nur aus einem Satz bestanden: „Die zähe Konsistenz von Ahornsirup auf seiner Tweedjacke machte ihn attraktiv und sexy“, „Patrick hätte unbedingt etwas mit den beiden Augen unter seinem rechten Schulterblatt machen sollen“ und „Jetzt wusste er, wie es war, morgens aufzuwachen, und es nistet ein Paar Enten auf seinem Gesicht“. Seitdem schwieg Paul McCartney. Zuweilen sah man ihn jedoch auf Festgesellschaften in einer Ecke sitzen, wo er, während sich die Gäste angeregt unterhielten, triumphierend in sich hineinlachte.

Später zog er sich dann ganz in seine Höhle in Schottland zurück. Hier entwickelte er auch seine eigene Sprache, die aber niemand verstand. Manche glauben, dies sei Absicht, andere sehen die Ursache eher in einer komplizierten Zahnbehandlung, von der sich McCartney nie richtig erholt haben soll.

„Träsch, träsch“, wiederholt Paul McCartney und ich merke, ich habe meine Jacke umsonst ausgezogen: Er will nämlich auf die Jagd gehen. Mit großem Gebrüll stürzt McCartney aus seiner Höhle, und sofort eilen Mick Jagger, Pete Townsend und Eric Clapton hinterher. Nur Ludwig Wittgenstein muss zu Hause bleiben, da er glaubt, dass Aussagen ein Stück Welt abbilden können, weil sie der sprachliche Ausdruck von Gedanken als logische Bilder von Tatsachen sind. Aus Enttäuschung darüber komponiert er anschließend ein Scherzo für Tuba, Akkordeon und den gemischten Chor des buddhistischen Klosters Paderborn, um damit grundsätzliche Existenzfragen zu klären.

„Heute jagen wir Verben!“, verkündet Pete Townsend, der als Einziger normal spricht, weil er immer noch ein Rebell ist und sich nicht anpassen will. Man merkt den vier Männern sofort an, dass sie im Jagen von Wörtern geübt sind. Und doch dauert es drei Stunden, bis endlich das Verb „verorten“ in die Falle tappt und damit aus dem allgemeinen Sprachgebrauch getilgt ist. „Ugumba Mulumba“, rufen die Freunde vor Freude. Sofort erscheint ein afrikanischer Stammesfürst, der eigentlich auf der Jagd nach Füllwörtern ist, und will mitfeiern. Er war aber nicht gemeint, was sich allerdings bis zum Schluss nicht mehr aufklären lässt.

Wieder in der Höhle angekommen, erwartet die erfogreichen Jäger schon Ludwig Wittgenstein, der in der Zwischenzeit ein kleines Kunststück mit einem Shetlandpony, zwei Wellensittichen und einer Gruppe Holländer eingeübt hat, was ihm einigen Respekt und Anerkennung, ja sogar Applaus einbringt. Außerdem hat er sich inzwischen von seinem Hauptwerk distanziert, nachdem er sich mal einen ganzen Tag lang darüber ausgeschwiegen hat. Das bringt einen Sonderapplaus.

Abends versammeln sich die Jäger und Sammler in der Höhle. Als man schon einige Stunden kein Wort gesprochen hat, erscheint plötzlich eine rote Flammenschrift an der Wand. „Oink, oink!“, steht da geschrieben. Alle schauen wie gebannt zu Paul McCartney. Doch der schweigt nur.

JAN ULLRICH