: MODERNES LESEN: NEUE BÜCHER KURZ BESPROCHEN VON SUSANNE MESSMER
Träumer
Ralf Schlatter: „Federseel“. Kein & Aber, Zürich 2002, 128 S., 14,90 €
Die Welt ist eine Mietskaserne, ein Büro, eine Fußgängerzone, weiter nichts. Was man hier tun kann, hat nichts mit dem zu tun, was man tun möchte. Auch Georg Federseel, der einsame Held im Romandebüt des 1971 geborenen Schweizer Autors Ralf Schlatter, wäre gern jemand anderes. Weil Federseel den Weg heraus jedoch nicht findet, geht er dazu über, Werbeplakate und fremde Gesichter im Bus zu Geschichten zu verspinnen. Damit unterhält er nicht nur Vereine, die ihn zu ihren Feiern buchen, sondern auch den Leser, der so einen schönen Blick auf die Funktionsweise der Einbildungskraft wirft.
Wenn man „Federseel“ mit anderen Geschichten über Geschichtenerzähler vergleicht, ist man schnell auf dem Holzweg: Bei Scheherazade zum Beispiel sind die Geschichten, die sie erzählt, wichtiger als sie selbst, während es bei „Federseel“ vor allem um Georg Federseel geht. Vielleicht könnte man diesen Held am ehesten mit Novalis’ Heinrich von Ofterdingen vergleichen, dem romantischen Dichter, der die Welt in Poesie verwandelt. Weil aber heute kein Mensch mehr romantisch sein kann, handeln auch die Geschichten Georg Federseels nicht von der blauen Blume, sondern vom Alltag, der sich aber manchmal plötzlich selbstständig macht. Als er sich in eine Reisebüroangestellte verliebt, denkt er sich zum Beispiel die Geschichte einer Reisebüroangestellten aus, die gern hölzerne Vögel bastelt.
Weil Geschichten dieser Welt einfach nichts mehr anhaben können, verliert Federseel aber still und langsam den Mut. Als er eines Abends an der Schnur des echten Holzvogels zieht, den er zu seiner Verwunderung in der Wohnung seiner echten Reisebüroangestellten findet, erscheint es ihm plötzlich ganz elend, wie der Vogel „fliegt und nicht vorwärts kommt, den Blick in die Leere gerichtet“.
Softies
Frank Ronan: „Cosmic Dancer“. Aus dem Englischen v. Bernhard Robben. Eichborn, Frankfurt 2003, 311 S., 19,90 €
Damals, als sich die Menschen Blumen in ihre wachsenden Haare steckten, da ging es los. Männer wurden zu Softies erzogen, die heute zum Therapeuten oder in den Vaterschaftsurlaub gehen. Weil ihre Eltern, die um 1940 Geborenen, zu sehr damit beschäftigt waren, sich neu zu finden, mussten sie, die 1960 und später Geborenen, allein klarkommen, ohne Erziehung, oft ohne Orientierung.
So auch der Held und Icherzähler in „Cosmic Dancer“, dem sechsten Roman des 1963 geborenen irisch-britischen Autors Frank Ronan. Coorg wächst in einer Hippiekommune auf dem Land auf, die derart klischeehaft überzeichnet ist, dass es schon wieder witzig wirkt. Hier sind alle, auch Coorgs Mutter, derart mit ihren Ernährungsprogrammen, ihrem Kampf gegen den faschistischen Kapitalismus und der Lektüre des „Herrn der Ringe“ beschäftigt, dass Coorg in Ruhe spielen kann. Und während man gerade zwischen zwei Lachern anfangen will, sich um Coorg zu sorgen, tauchen plötzlich seine Großeltern auf und entführen ihn nach Irland.
Von nun an muss sich Coorg ganz schön umstellen. Der katholische Großvater kauft ein Hotel am Strand und wirtschaftet es nach und nach gründlich herunter; die Großmutter, die Coorg sogar das Fragen verbietet, wird immer depressiver, und Coorg lernt, dass das Desinteresse, das ihm entgegengebracht wird, gar nicht so weit von dem entfernt ist, mit dem er in in der Kommune konfrontiert war. Er muss früh erwachsen werden, den Garten bestellen, seine kleine Schwester versorgen, die seine Mutter irgendwann später auch noch bei ihnen ablegt.
Auch, wenn diese Éducation Sentimentale im Sande verläuft, wenn Coorg aus nicht nachvollziehbaren Gründen nie aufbricht, um die Kommune wiederzufinden: Am Ende dieses Romans, dieser exakten Wurzelanalyse des gegenwärtigen Männerproblems, will man eine Fortsetzung von „Cosmic Baby“ lesen und wissen, was aus ihm wird, aus unserem Sorgenkind Coorg.
Aussitzer
Kevin Vennemann: „Wolfskinderringe“. Tropen, Köln 2002, 151 S., 12,80 €
Die Männer kleben an ihrer Wirklichkeit wie Fliegen am zähen Leim. Sie sind so versunken, dass sie gar nicht merken, wenn die Welt surreale Dimensionen annimmt. Die Figuren in den Debüterzählungen „Wolfskinderringe“ des 1977 geborenen Autors Kevin Vennemann sind melancholisch und passiv, und sie reagieren selten auf das, was um sie herum geschieht.
Ein Mann wird von seiner Freundin zu einem verlassenen Ort bestellt, an dem es viel regnet. Dort betrachten sie auf Bildschirmen die Stadt, die alle anderen verlassen haben. Er hat gar nicht mitbekommen, was passiert ist. Seine Freundin, die sehr wohl weiß, was passiert ist, achtet nur noch darauf, dass er ganz unter dem Schirm ist, den sie hält. In einer anderen Geschichte steht ein Mann in seiner Wohnung am Fenster und hält seine Geliebte im Arm, die gleichzeitig seine Putzfrau ist. Gemeinsam beobachten sie, wie Herr Patterns von nebenan wieder einmal sein Klavier in den Hof tragen lässt, damit er unter freiem Himmel spielen kann. Bei dieser Prozedur ließ schon einmal ein Träger sein Leben, trotzdem unternimmt keiner im Haus etwas dagegen. Auch der Mann am Fenster nicht. Er kann noch nicht einmal seine Freundin daran hindern, den einzigen Mann im Haus zu besuchen, der seine Wohnung selbst putzt.
Es gibt Momente in Kevin Vennemanns Geschichten, die wie eine kunsthandwerklichere Variation von Franz Kafkas Kniff wirken, Stimmungen zu erzeugen, die sich nicht auf eine eindeutige Bedeutung reduzieren lassen. An ihren stärkeren Stellen aber sind diese Erzählungen, die übrigens meistens nicht in Deutschland spielen, so beklemmend, sind seine Helden so handlungsunfähig, dass man sich fragt, ob die Männerfiguren, je jünger ihrer Erfinder sind, immer noch schwächer werden.
Weicheier
Petri Tamminen: „Der Eros des Nordens“. Aus dem Finnischen v. Stefan Moster. Suhrkamp, Frankfurt 2003, 151 S., 8 €
So einen als Mann haben zu müssen, das mag man sich gar nicht vorstellen. Harri, der Held von „Der Eros des Nordens“, des ersten Romans des 1966 geborenen finnischen Autors Petri Tamminen, hat alles, was ein Weichei haben muss – die wichtigste Eigenschaft aber, die ihn zur absoluten Zimperliese macht, ist seine unerträgliche Hypochondrie, die einen derart unterhaltsam auf die Palme bringt, dass man das Buch manchmal in die Tonne hauen möchte.
Alles geht damit los, dass Harris Frau ihrem Göttergatten eröffent, dass er Vater wird. Sofort entwickelt er diffuse Superängste. Er bildet sich eine Blutvergiftung, eine Hirnhautentzündung, einen Tumor und Aids ein. Als das Kind endlich geboren wird, ist er stolz, einen angemessenen Gesichtsausdruck für dieses Ereignis zu finden, kann aber mit dem Kind nur insofern etwas anfangen, als er ein neues Opfer für seine Sorge gefunden hat. Irgendwann kündigt Harri seinen Job, um sein Kind aus dem Kindergarten nehmen zu können. Aber dann trifft Harri seinen alten Arbeitskollegen Eero.
Eero krempelt mit einem Schlag Harris Gefühlschaos nach links. Nicht dass er unbedingt stärker oder glücklicher wäre als Harri; wo aber bei Harri alles nach hinten losgeht, wenn Schwierigkeiten auftauchen, da galoppiert Eero einfach nach vorn. Eero gibt vor, noch ein richtiger Mann, ein „echter Sohn des Nordens“ zu sein. Wenn Eero schweigt, „schweigt er feierlich“. Er gibt vor zu wissen, „was die Männer brauchen“. Eero schafft es, Harri für eine Weile aus seiner Versenkung zu holen. Auf einer Abenteuerreise in den Norden verspricht Eero Harri, dass er einen Seitensprung haben wird. Schöner hätte auch Ernest Hemingway nicht beschreiben können, wie Harri und Eero ewig über die großen Ereignisse reden, die dann doch nie eintreffen, wie sie gemeinsam Angelausflüge und Saufgelage veranstalten und wie sie es dann doch nicht schaffen, mit den Frauen, von denen sie sich abschleppen lassen, auch zu schlafen. Doch scheint all das Harri ein bisschen aufzurichten. Zumindest, bis er wieder nach Hause kommt.
Wohner
Sally Griffiths: „ManStyle“. Aus dem Englischen v. Theda Krohm-Linke. Collection Rolf Heyne, München 2002, 216 S., 42 €
Erinnert sich noch jemand an die Eingangssequenz des bahnbrechenden Männerfilms „Fight Club“ von David Fincher? An den mickrigen Erzähler (Edward Norton), dessen einziges Glück darin besteht, sich seine Wohnung immer wieder neu einzurichten. Wie er, anstatt sie sich originell auszustatten, ausgerechnet auf Ikea zurückgreift? Mag sein, dass dieses Möbelhaus in Amerika größeren Kultstatus besitzt als hier, sicher steht es aber auch dort nicht für männlichen Stil – nordischer Eros hin oder her.
Der Bildband „Man Style. Männer wohnen anders“ der englischen Autorin Sally Griffiths eröffnet erstaunliche Einblicke in die Wohngewohnheiten der Männer – abgesehen davon, dass in diesem Buch nur Wohnungen zu bestaunen sind, deren Besitzer Geld haben (siehe Foto). Schon seine Unterscheidung der Mannheit in drei Typen ist überzeugend: in den Gentleman, der erdfarbene Teppiche liebt, damit man den Schmutz seiner Reitstiefel nicht sieht; in den Playboy, dessen Appartment pflegeleicht ist und jederzeit verlassen werden kann; und in den Ästheten, der sich einem lebenslangen Studium der Schönheit verschrieben hat und sein Bett auch mal von unten beleuchtet, damit es aussieht, als würde es schweben.