piwik no script img

Archiv-Artikel

Überraschungsei für die Reeperbahn

Hamburgs Bausenator hat den Künstler Jeff Koons engagiert, um ein „Wahrzeichen für St. Pauli“ zu schaffen

Einmal im Jahr ist Stimmung auf dem Spielbudenplatz in Hamburg. Dann werden an einem Samstagabend im Mai die deutschen Punkte für den Grand Prix Eurovision de la Chanson vergeben, live on air vor ein paar tausend johlenden Schlager-Hooligans, dafür hat die ARD ihren Ü-Wagen neben dem Schmidt’s Tivoli Theater aufgebaut.

Die restliche Zeit ist es dagegen trostlos an dem lang gezogenen Platz auf der Reeperbahn zwischen Operettenhaus und Davidswache. Ein paar Skater, ein paar Junkies, Sextourismus und Betrunkene. Kein schöner Anblick, muss sich Bausenator Mario Mettbach gedacht haben – immerhin gehört er der Schill-Partei an. Jetzt aber soll Hamburg selbst im Kiez auf St. Pauli metropolenmäßig durchgestylt werden wie zuletzt nur Berlins Potsdamer Platz oder die Neue Mitte in Oberhausen. Mit einem Faltdach für Wochenmärkte, als Party-Location und 300 Meter lange Schlemmermeile, weiße Plastikpressstühle inklusive. Sogar einen Künstler mit Weltruf haben die Stadtoberen gefunden, der Hamburgs schmuddelige Ecke kulturell hochjazzen wird: Jeff Koons. Kritiker fürchten den mittlerweile 47-jährigen New Yorker Popkünstler wegen seiner Liebe zu Kitsch und Banalität, während der Schriftsteller Rainald Goetz ihm ein Theaterstück gewidmet hat, in dem Kunst und Leben, Genie und Alltag irgendwann eins werden.

Bei Koons hat es indes einige Zeit gedauert, bis er in seinen Arbeiten kühle Konzepte, gefühligen Trash und begeisterte Alltagsikonen voneinander zu trennen lernte. Mitte der 80er-Jahre wurde der aus York, Pennsylvania, stammende Koons mit stahlgegossenen Spielzeugeisenbahnen und in Plexiglas eingeschweißten Staubsaugern berühmt. Zu den Objekten kam eine Menge Zeichentheorie, mit der die Haushaltsfetische zu Allegorien auf die allgemeine Konsumierbarkeit des Lebens erklärt wurden.

Damals feierte Koons Kunst als Verdoppelung der Wirklichkeit, doch später wurden ihm diese Art Realitäts-Readymades zu langweilig. Er heiratete den Pornostar Illona Staller, posierte mit ihr beim Geschlechtsverkehr für seine „Made in Heaven“-Siebdruckserien und zeugte nebenbei einen Sohn als größtes Kunstwerk. Dann kam der Einbruch des Realen: Staller ließ sich von ihm scheiden, seit Mitte der 90er-Jahre kämpft der Wahlmünchner Koons um das Sorgerecht für seinen Maximilian.

Was ihn in Hamburg als Künstler mit einem besonderen Gespür für den öffentlichen Raum ausweisen soll, ist allerdings unklar. In Bilbao steht zwar sein überdimensionaler Blümchenhund „Puppy“ vor der Filiale des Guggenheim-Museums, und Berlin hat von ihm vor ein paar Jahren blau glitzernde Beeren vor den Marlene-Dietrich-Palast gelegt bekommen. Doch solche Aufhübschung öffentlicher Plätze ist eigentlich längst passee, ein Überbleibsel wie die Blumenkübel aus Beton in den Fußgängerzonen der späten Siebzigerjahre. Für die Reeperbahn könnte Koons wiederum ganz im Trend liegen – irgendwo zwischen Peepshow und Schlagerfrohsinn dürften sich auch seine Monstren ganz gut machen. Vielleicht ein Michael Jackson aus Porzellan? Oder ein Schaukelpferdchen aus Backstein? Im April wird man es wissen, dann will Koons seine Entwürfe zu einem „Wahrzeichen für St. Pauli“ vorlegen.

HARALD FRICKE