: Riesenkerl und Neurotiker
John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ am Altonaer Theater: Barbara Neureiter seziert in ihrer Inszenierung die unbeholfene Männergesellschaft, in der Freundschaft darin gipfelt, dass man sich aneinander gewöhnt
George und Lenny sind gehetzte Menschen. Und so sieht man sie bei der aktuellen Inszenierung von John Steinbecks Von Mäusen und Menschen im Altonaer Theater auch zunächst durch ein Kornfeld fliehen, per Videoprojektion. Doch die Dynamik der Flucht weicht schnell dem Stillstand des Lebens: Der Männerschlafsaal ist ihr Schicksal. Einmal von der distanzierten Leinwand in die Welt geworfen, entfalten Ulrich Bähnk (George) und Torsten Hamann (Lenny) eine atemraubende Präsenz.
Barbara Neureiter hat das ungleiche Paar ziemlich gleichgewichtig inszeniert. Lenny ist laut Textbuch eigentlich der mit der „Klatsche“. Ein Riesenkerl, der Weiches liebt, es aber aus purer, nicht zu bändigender Grobmotorik tötet. Bei Neureiter ist auch sein Beschützer George ein gehemmter Neurotiker, der bei Männerwitzen pubertär loslacht.
John Steinbecks Sozialdrama schildert eine Männerwelt. Wanderarbeiter auf einer Farm, eine Anhäufung von Einzelgängern findet sich hier. Einzige Ausnahme: die unmögliche Freundschaft zwischen George und Lenny. „Das findet man nicht häufig, dass zwei zusammen reisen“, ist die Reaktion der anderen Arbeiter. Doch George findet eine plausible Erklärung: Auf Dauer gewöhnt man sich aneinander.
Die Regisseurin seziert diese unbeholfene Männergesellschaft in ihrer Inszenierung unerbittlich. Bei ihr steht weniger die Armut und der Traum von einem besseren Leben mit eigener Farm im Mittelpunkt. Eindrucksvoll führt sie stattdessen die inszenierten Männlichkeiten und ihre Abwehrmechanismen vor. Die Bedrohung kommt von außen, in Gestalt der Frau des Farmbesitzers. Mit ihr kann keiner der Männer etwas anfangen, nicht nur Lenny nicht. Die Projektionen eigener Geilheit und Liebessehnsucht schießen ins Kraut. Kerstin Hilbig muss bei Neureiter gar nicht groß mit dem Hintern wackeln, das passiert in den Köpfen der Männer. Resultat sind Ohrfeigen und ein hervorgepresstes „Schlampe“.
Die Regisseurin entschlüsselt Lenny als Symbol für Männlichkeitsprobleme an sich. Ihr steht dabei mit Torsten Hamann ein Hauptdarsteller zur Verfügung der in seiner Rolle ganz aufgeht. Der heruntergekommene Bettensaal (Bühne und Kostüm: Eva Humburg) als alleiniger Spielort schafft den Rahmen für eine hermetische Welt. Insofern ist es konsequent, dass die Außenwelt durch Videoprojektion eingespielt wird.
Christian Rubinstein
weitere Vorstellungen: 21., 22.2., 20 Uhr, Altonaer Theater