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Archiv-Artikel

Schlafen ohne Pyjama

Über Liebe und Ehe in Zeiten der postsozialistischen Moderne: Das polnische Beziehungsdrama ,,Ich schau Dir in die Augen, Mary“ des 25-jährigen Regisseurs Lukasz Barczyk, das sich an die Dogma-Ästhetik anlehnt, am Sonntag im Metropolis

Die „Generation 2000“ will das totgesagte Avantgardekino in Polen wiederbeleben

von MATTHIAS SEEBERG

Die Ehe, kalauerte Woody Allen einmal, ist der Versuch, zu zweit mit den Problemen fertig zu werden, die man alleine nie gehabt hätte. Die Weisheit dieses Bonmot versorgt nicht nur das erfolgsverwöhnte Kinogenre der Beziehungskomödie mit immer neuen Variationen der immer gleichen Geschichte. Jede Soap Opera versucht mit ihrem hybriden Anspruch auf soziale Mimesis die mannigfaltigen Sorgen und Ärgernisse ehelichen Zusammenlebens und deren mitunter tragische Konsequenzen als gelebte Wirklichkeit zu verkaufen.

Die Filme jedoch, die sich dem ohne konservative Ressentiments, kabarettistische Satire oder blödelnde Gefühlsduselei nähern, sind immer noch rar gesät. Grund genug also, sich den mehrfach preisgekrönten polnischen Spielfilm Ich schau Dir in die Augen, Mary anzusehen, der am Sonntag im Metropolis in der Originalfassung mit englischen Untertiteln gezeigt wird.

Der Film des 25-jährigen Regisseurs Lukasz Barczyk spielt schon im Titel auf den Prototyp des romantischen Liebesfilms, auf Michael Curtiz‘ Casablanca an, dessen in der deutsche Synchronfassung als „Ich schau Dir in die Augen, Kleines“ längst zum geflügelten Wort geworden ist. Die in Barczyks Regiedebüt erzählte Geschichte eines psychologischen Beziehungsdramas jedoch wirkt wie eine radikale Absage an das mit dieser Floskel verbundene – wenn auch schon in Casablanca lediglich als Utopie vorhandene – Glücksversprechen. Sie konfrontiert die Vorstellung von der großen Liebe und von familiärem Glück mit den zermürbenden Bedingungen eines von Arbeit, Karriere und Verantwortung bestimmten Alltags.

Maria, 24 Jahre alt und Geologiestudentin, und ihr fünf Jahre älterer Freund Michal, der als Psychiater im örtlichen Krankenhaus arbeitet, kennen und lieben sich schon eine halbe Ewigkeit. Sie bewohnen zusammen eine kleine Wohnung und beschreiben sich im Film selbst als ganz normale Menschen, die ihre Urlaube weit im Voraus planen, niemals im Pyjama schlafen und deren Leben im Grunde frei von Thrills oder gar Revolutionen ist. Ein junges Paar an der Schwelle zu dem, was immer wieder als „Erwachsenwerden“ bezeichnet wird und nicht erst seit dem Erfolg der Romane von Nick Hornby als wichtigstes Ereignis im Leben der Generation X gilt.

Maria und Michal teilen mit den Vertretern dieser Generation, wie sie in der Literatur beschrieben wird, eine Angst vor allzu großer Verantwortung. Doch sie werden zu ihr gezwungen, als Maria erfährt, dass sie schwanger ist, und Michal ihr daraufhin einen spontanen Heiratsantrag macht. Dieser selbst auferlegte Zwang zur Vollendung der Kleinfamilie setzt, von Michals bedrückendem Arbeitsalltag begleitet, eine psychische Kettenreaktion frei, die in einem traurigen Desaster am bevorstehenden Hochzeitstag kulminiert.

Der Film, indem er sich stilistisch an die Form eines Amateurvideos oder eines Reality-TV-Beitrags anlehnt, versucht seinen experimentellen Charakter nicht zu verbergen. Mit seinen abrupten Schnitten, seinen ungelenken Kamerafahrten und durch die bewusste Vernachlässigung anderer filmischer Grundregeln wird er nicht müde, den hysterischen Ausbrüchen seiner Figuren einen eigenen Ausdruck verleihen zu wollen.

Obwohl der unkonventionelle Umgang mit einigen interessanten Effekten beeindruckt, wäre etwas mehr Konzentration auf einen Spannungsbogen von Vorteil gewesen. Doch dieser Verzicht auf dramaturgische Strenge scheint eine weitere Annäherung an die Ästhetik der Dogma-Filme zu sein: Teil eines Programms, mit dem eine Gruppe junger polnischer Filmemacher unter dem Label „Generation 2000“ das totgesagte Avantgardekino im designierten EU-Mitgliedsland wieder aufleben lassen möchte.

Sonntag, 23.2., 19.15 Uhr, Metropolis