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Archiv-Artikel

Musik für die Söhne

Toni Schifers Plattenfirma Crippled Dick Hot Wax Records bringt Soundtracks wie den des „Schulmädchen-Reports“ und von „Herr Rossi sucht das Glück“ heraus. Dabei geht es weniger um die Aufarbeitung der eigenen TV-Jugend als um Archivarbeit

von ULF LIPPITZ

Es ist ein langer Weg durch vier Hinterhöfe, bis man endlich vor dem Büro des Indie-Labels Crippled Dick Hot Wax Records steht. Die Plattenfirma residiert in einer ehemaligen Werkstatt in der Schlesischen Straße – direkt gegenüber dem Quartier des Zeitgeist-Magazins Style und auch nicht weit von Deutschlands größter Musikmaschinerie, der Plattenfirma Universal.

Ein anspornendes Umfeld? Crippled-Gründer Toni Schifer zuckt mit den Achseln. „Ich könnte mir nicht vorstellen, ein Büro in Schöneberg oder Wilmersdorf zu haben“, sagt er. „Aber wir stehen in keiner Konkurrenz zu Universal.“ Trends, Charts, Verkaufszahlen scheinen Schifer lediglich daran zu erinnern, dass es anders gehen kann, aber nicht muss.

Von Beginn an hatte Schifer keine Lust, ganz vorn an der musikalischen Front zu kämpfen. Er rief seine Plattenfirma 1994 in Villingen-Schwenningen ins Leben, um dem Noise-Punk von Freunden eine Plattform zu geben. Hauptberuflich leitete er eine T-Shirt-Druckerei. Als ihn die Lust verließ, sich zwischen lustigen Sprüche-Shirts und knuddeligen Socken entscheiden zu müssen, machte er aus dem Nebenprojekt Crippled Dick Hot Wax seinen Lebensmittelpunkt. 1998 zog er mit dem Label nach Berlin.

Auch die Musik wandelte sich. „Man wird ja selbst älter“, sagt Toni Schifer, „ich hatte und habe kein Interesse, die Leute mit immer denselben Platten zu beliefern.“ Ein wichtiger Impuls kam vom illegalen Kassetten-Label „Scharfe Schwestern“: „Darauf befanden sich nur Stücke, die von Video aufgenommen waren – unter anderem zwei Titel des Films ,Vampyros Lesbos‘. Die haben mir so gut gefallen, dass ich Material gesichtet und dieses schließlich in gekürzter Form als Platte veröffentlicht habe.“ Bis heute gehört das Album „Vampyros Lesbos“ zu den Erfolgsgeschichten des Labels.

Danach folgten so seltsame Projekte wie die Melodien des „Schulmädchen-Reports“ oder der Fernsehserie „Herr Rossi sucht das Glück“. Fast könnte man meinen, es ginge hier darum, die eigene Jugend vorm Fernseher aufzuarbeiten, doch Schifer wehrt sich gegen solch sträfliche Simplifizierung: „Wenn ich meine Jugend musikalisch besuchen müsste, würde ich bei King Crimson landen. Mein Ansatz ist auch nicht, dass ich mich wehmütig an Kellerfeten meiner Eltern erinnere, auf denen diese Art von Musik gelaufen wäre. Es handelt sich um Material, das du woanders ohne weiteres nicht findest. Wenn man will, ist das Archivarbeit.“

Crippled führt Künstler zusammen: die norwegische Jazz-Sängerin Karin Krog mit dem elektronischen Soundtüftler Herbert, oder die Punk-Chanteuse Lydia Lunch mit den groovigen Bar-Jazzern von Anubian Lights. „Crippled ist ein Zwitter“, sagt Schifer, „zwischen Elektronik, Jazz und Obskurem.“ Und Easy Listening? „Das war mal so ein Trendwort, das zum Unwort verkommen ist. Für mich bedeutet es Fahrstuhlmusik – oder dass sie meinen Vater nicht stören würde, wenn sie im Hintergrund laufen würde. Ich bin mir ziemlich sicher, dass unsere Musik ihn nerven würde.“

Crippled Dick Hot Wax Records bemüht sich um einen Link von Vergangenheit und Gegenwart. Für den Gründer bedarf es keiner Strukturen, die er an anderen Indies zwar schätzt, aber ablehnt. Drei Angestellte sitzen mit ihm im großräumigen Büro. Nicht alle arbeiten an der Musik. Schifer entwirft mit einem weiteren Mitarbeiter Webseiten und Grafiken für Filmfirmen. Im Sommer lanciert er ein DVD-Label, auf dem unter anderem Herr Rossi erscheinen soll. „Ich bin realistisch“, sagt er. „Der Markt ist knallhart. Ich will nicht in den Zugzwang geraten, jeden Monat eine neue Platte herausbringen zu müssen und in eine Spirale von Abhängigkeiten zu geraten. Lieber veröffentlichen wir weniger und geben uns mehr Mühe.“ Nachbar Universal weiß dies zu schätzen. Toni Schifer hat für den Major gerade eine Compilation mit Downbeat-Stücken zusammengestellt.