: Daniel Coats in der Löwengrube
Der US-Botschafter redet in der Vertretung der Evangelischen Kirche in der Hauptstadt über die amerikanische Sicherheitspolitik. Kleine Häppchen vor einem großen Krieg
Ein Tischgebet gehört nicht zu den üblichen Bestandteilen eines offiziellen Abendessens mit anschließendem Vortrag eines Ehrengastes. Es sei denn, der Ehrengast ist der US-Botschafter in Berlin, Daniel Coats, dessen Frömmigkeit wohl bekannt ist. Es sei denn, seine Rede findet statt im Sitz des „Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche bei der Bundesrepublik Deutschland“ – was so etwas ist wie die Lobby der EKD bei der Regierung.
In einem nicht besonders geschmackvoll eingerichteten, bläulich-glitzernden Saal am Gendarmenmarkt sprach seine Exzellenz Coats auf Englisch über „Security and Freedom in an Insecure World – New International Challenges“. Ein Thema, das noch vor zwei Jahren kaum jemanden hinter dem Ofen hervorgelockt hätte. Doch die neuen internationalen Herausforderungen für Sicherheit und Freiheit in einer unsicheren Welt, dargestellt von dem Vertreter der Bush-Regierung in der Bundesrepublik, sind heute brisant. Umso mehr, als die Evangelische Kirche zu den führenden Warnern vor dem drohenden Irakkrieg gehört. Coats also in der Höhle des Löwen, wie Daniel in der Löwengrube. Wann würde er in den Mägen der friedensbewegten Protestanten landen?
Wer die Geschichte von Daniel in der Bibel mal gelesen hat, weiß, wie so etwas ausgeht. Coats referierte während seines Vortrags so zwangsläufig wie tapfer die bekannte Haltung seiner Regierung zum Irakkonflikt – spannend wurde es erst, als er sich den Fragen aus dem Kreis der rund 100 deutschen Gäste stellte. Doch die lutherischen Löwen bissen kaum: sei es wegen der würdevollen Umgebung, sei es wegen des höflichen Versuchs von vielen, ihre Fragen in Englisch zu formulieren. Coats-Sätze wie „collateral damages can be limited“ regten niemanden sichtlich auf. Ebenso wenig die Tatsache, dass der Botschafter über den Krieg sprach, als sei der schon so gut wie sicher. Coats parierte alle vorsichtigen Angriffe geschickt, verbindlich und gelassen. Nur bei der Frage, wie er sich verhalte zum vehementen Plädoyer fast aller amerikanischen Kirchen gegen den Krieg, wurde Coats etwas einsilbig: Der Glaube, sagte er, biete bei dieser Frage viele mögliche Antworten.
Die Häppchen schmeckten nach Coats’ Auftritt nicht mehr. Der Krieg scheint beschlossene Sache. Gott sei Dank war genug Wein da. PHILIPP GESSLER