: „Die Szene ist zerstritten“
Die Bilder von Schwulen und Lesben, die bei Paraden in Moskau verprügelt wurden, gingen um die ganze Welt. Der Filmemacher Jochen Hick hat die Paraden begleitet und den Dokumentarfilm „East / West – Sex & Politics“ gedreht, der nun bei den Lesbisch-Schwulen Filmtagen in Hamburg zu sehen ist
Die Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg gibt es seit dem Jahr 1990. Sie sind das älteste Filmfestival Deutschlands, in dem Schwule und Lesben zusammen arbeiten. Sie finden jedes Jahr im Oktober statt. Im Fokus stehen in diesem Jahr vor allem Filme aus Südafrika und Filme mit dem Schwerpunkt „Religiöser Fundamentalismus“. Neben Filmen und Partys gibt es am Freitag den Workshop „Disrupt the Script“ mit der Regisseurin Karin Michalski. Das Festival läuft noch bis zum kommenden Sonntag und endet mit der Verkündung der GewinnerInnen der Filmpreise Ursula, Eurola, Globola und der Dokula sowie der Präsentation des Abschlussfilms „I can’t think straight“ um 20.15 Uhr in Hamburger Metropolis-Kino. Das Programm: www.lsf-hamburg.de. KLI
INTERVIEW KLAUS IRLER
taz: Herr Hick, wie lebt es sich als homosexueller Russe in Moskau?
Jochen Hick: Das ist wie überall auf der Welt auch eine soziale Frage: Wenn man viel Geld hat, lebt man auch in Russland ganz gut. Wenn man wenig Geld hat, dann stehen einem nicht einmal die wenigen Schwulen-Bars zur Verfügung. Es gibt nicht mal ein Dutzend Bars in Moskau, einer 14-Millionen-Einwohner Stadt.
Und das bedeutet?
Dass sich die Leute auf der Straße oder in Parks treffen müssen. Wir haben auch diese Szene im Film wo man sehen kann, dass die Gregorianer, das ist eine christlich-rechtsnationale Gruppe, dafür gesorgt haben, dass diese Parks, Treffpunkte für Schwule und Lesben abgesperrt wurden. Unter den Aktivisten gibt es welche, das sind zum Teil Studenten, die wohnen zu zehnt in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung.
Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden?
Wir kannten durch Vorrecherchen viele Leute. Und dann beginnt man zu drehen und trifft dabei wieder andere Leute. Zentraler Ausgangspunkt für unsere Arbeit waren die Veranstalter der Gay-Pride-Paraden.
Jene beiden Paraden in den Jahren 2006 und 2007, bei denen es zu Ausschreitungen gegen die schwulen Demonstranten kam und die Polizei zuschaute?
Ja. Wir sind von den beiden Märschen ausgegangen und haben uns gefragt: Warum gehen da so unglaublich wenige Leute hin? Das sind ja nie mehr als zwischen 20 und 50 Demonstranten, dazu vielleicht 100 Journalisten und 300 bis 500 Gegendemonstranten. Wie kann es sein, dass es in diesem Land für so wenige Leute ein Bedürfnis ist, für das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu kämpfen?
Und was ist Ihre Antwort?
Dieser Kampf bringt zu wenig Anerkennung – weder innerhalb der Gruppen, noch innerhalb der Gesellschaft. Auf die Aktivisten wird herabgeschaut und es wird gesagt: Im Grunde sind das doch nur ganz große Loser.
Das ist das Bild, das auch andere Schwule und Lesben von den Aktivisten haben?
Ja. Es gibt viele Schwule und Lesben, die sagen: Wir wollen eigentlich nicht, dass das Thema so in die Öffentlichkeit getragen wird. Die Demonstrationen 2006 und 2007 hatten ja extrem viel internationales Presseecho. Manche Schwule fanden, dass sich die schwulen-feindlichen Gruppen wie die Kirche oder die Rechten dadurch erst noch mal richtig formiert hätten. Die Szene ist extrem zerstritten.
Aber warum werden die Aktivisten als Loser betrachtet?
Es heißt, die Aktivisten wollen mit ihrem Engagement nur gesellschaftliche Anerkennung erreichen, und ansonsten seien sie doch völlig erfolglos und hätten nichts zu melden. Es gibt in Russland ein unglaubliches Bedürfnis, in der Mitte der Gesellschaft zu sein. Und da sind Sie garantiert nicht als schwuler Aktivist mit Forderungen für sexuelle Minderheiten.
Wann ist man in Russland in der Mitte der Gesellschaft?
Wenn man bei dem Konsum, in dem Russland schwelgt, mit machen kann. Das für uns im Westen Rätselhafte ist, dass auch zu den „Märschen der Unzufriedenen“ so wenige Demonstranten gehen. Es scheint keine große politische Unzufriedenheit zu geben. Dazu kommt, dass in einem Land, das Kriege führt, selbst Menschenrechtsorganisationen sagen: Meine Güte, wir haben doch wirklich andere Probleme, als ein paar umher rennende Schwule.
Welche Reaktionen haben Sie auf den Film erhalten?
Wenn East / West in westlichen Ländern läuft, dann sind die Aktivisten alles Helden. In Russland sagen die Leute: Der Film zeigt, was das für Loser sind. Denn die kriegen nur eins auf die Mütze und schaffen nichts. Wir haben ja auch dieses christliche Konzept, dass man Sympathien für den Schwachen hat. In Russland passiert das seltener. Da wird nur der Erfolgreiche herausgehoben.
Bringt der Kapitalismus nicht immer auch ein liberaleres gesellschaftliches Klima mit sich?
Es kann sein, dass der Kapitalismus irgendwann etwas an Liberalität bringt. In den letzten zwei Jahren aber sieht es so aus, dass Russland sich eigentlich wieder mehr abschottet. Die liberalste Zeit war vielleicht Anfang und Mitte der 90er. Das schwul-lesbische wird heute oft als Dekadenz aus dem Westen gesehen, als etwas, das nicht der Tradition des Ostens entspricht.
Wie sieht die Haltung des Kreml gegenüber Schwulen aus?
Ende Januar 2007 hat Putin gesagt, er habe Verständnis für die Bedürfnisse der „sexuellen Minderheit“, so werden die Schwulen und Lesben in Russland bezeichnet. Aber er mache sich Sorgen um die demographische Entwicklung in Russland – er meinte damit den Bevölkerungsschwund. Das haben viele Kirchenvertreter und viele Rechte übernommen, um ihre Schwulenfeindlichkeit zu begründen.
Was sagt die russische Intelligenz zu diesem Thema?
Es gibt kaum wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sexualität in diesem Land. 1993 schaffte Jelzin den Paragraphen 121 ab, der homosexuelle Beziehungen unter Strafe stellte, weil das unter anderem eine Bedingung war, um in den Europarat zu kommen. 1998 verschwand Homosexualität von der Liste der psychiatrischen Erkrankungen. Davor wurde sie in der Wissenschaft noch als Krankheit gesehen.
„East / West“ läuft am 25. 10. um 17.45 Uhr in Hamburg in der Passage. Bundesweiter Start ist am 27. 11.
Fotohinweis:JOCHEN HICK, 48, gründete 1994 die Hamburger Produktionsfirma Alaska Production. Außerdem ist er Chefredakteur des TV-Senders Timm.