: Abwarten und Tee trinken in Peking
Chinas Regierung verhält sich im Konflikt um Nordkoreas mutmaßliches Atomprogramm bislang neutral, weil es noch zwischen alter Kriegsloyalität und neuen Wirtschaftsinteressen gefangen ist und gerade einen eigenen Führungswechsel vollzieht
aus Peking GEORG BLUME
Nordkoreas Propaganda kann dieser Tage schriller sein als je zuvor, doch ausgerechnet im ehemaligen „Bruderstaat“ China findet sie kaum Gehör. So kündigte Pjöngjang kürzlich an, einen Atomkrieg gegen die USA gewinnen zu können und erntete damit weltweit Schlagzeilen. Doch in der Volksrepublik schwiegen sich Fernsehen und Zeitungen über Nordkoreas Drohgebärden weitgehend aus.
Es hat dann den Anschein, als verbiete die auch in China zuweilen noch strenge Propagandazentrale den heimischen Medien nordkoreanische Originaltöne zu verwenden. Ein Grund dafür liegt auf der Hand: Viele Chinesen könnten Nordkoreas Propaganda nur allzu leicht verfallen. Denn aus chinesischer Sicht gleicht das immer offenkundiger werdende Vorhaben Nordkoreas, eigene Atomwaffen zum Schutz vor einem übermächtigen Amerika zu bauen, Chinas Politik vor vierzig Jahren. Ältere Chinesen erinnern sich auch noch gern an Pekings ersten Atombombentest am 16. Oktober 1964. An jenem Tag endete ein kollektives Angstgefühl gegenüber den USA, die einem atomwaffenfreien China im Koreakrieg (1950–53) und in der Taiwankrise (1954–55) mit solchen Waffen gedroht hatten. So erlösend wirkte der Besitz einer eigenen Atombombe damals auf das chinesische Gemüt, dass es Kritik daran bis in die Reihen unabhängiger Intellektueller in China bis heute kaum gegeben hat.
Kann es also verwundern, wenn manche Chinesen jetzt auch dem Nachbarn eine ähnliche Erlösung wünschen? Doch begegnet man dieser Haltung in Peking derzeit nur in Privatgesprächen. Partei und Regierung wollen dagegen nichts von einer aus ihrer Sicht völlig falsch verstandenen Solidarität mit Nordkorea wissen. Stattdessen wiederholen derzeit alle Verantwortlichen gebetsmühlenartig ihren Wunsch nach einer „atomfreien, friedlichen und stabilen“ koreanischen Halbinsel. Kein Tag vergeht mehr ohne diesen Refrain, was zeigt, wie wichtig der Regierung das Thema Nordkorea trotz ihrer einsilbigen Informationspolitik ist.
Es geht schließlich um das wichtigste Guthaben chinesischer Außenpolitik: die derzeit störungsfreien Beziehungen zu Washington. Wenn also US-Außenminister Colin Powell am Sonntag zu Gesprächen über Nordkorea in Chinas Hauptstadt eintrifft, wird Peking alles tun, um keine Meinungsverschiedenheiten auftauchen zu lassen – und so tun, als sei man ständig bemüht, den ehemaligen Verbündeten in Pjöngjang von seinen Atomplänen abzubringen.
In diesem Sinne hatte Peking bereits die von den USA betriebene Überweisung des Falls Nordkorea von der Internationalen Atomenergiebehörde an den Weltsicherheitsrat ausdrücklich unterstützt. Was aber kann Peking mehr, als guten Willen zu zeigen? Viel mehr, glaubt Powell und reist eben deshalb nach Peking. Deckt China nach Einstellung der amerikanischen Hilfe nicht über die Hälfte des nordkoreanischen Energie- und Lebensmittelbedarfs? Hat die Volksrepublik nicht eine offene, kaum kontrollierbare Grenze zu Nordkorea, hinter der sie Flüchtlingen Schutz gewähren könnte?
Powell will über Wirtschaftssanktionen und Flüchtlingsschutz sprechen, für den Fall, dass Nordkorea tatsächlich Atombomben baut. Westliche Experten glauben, dass China allein mit Sanktionen und Flüchtlingsschutz Kim Jong-Ils Regime in die Knie zwingen könnte. China, so wird Powell deshalb sagen, müsse endlich seine Tunichts-Haltung gegenüber Nordkorea aufgeben. Vielleicht werden ihm einige in der Pekinger Parteiführung insgeheim zustimmen.
Schon hat Tokio einen Präventivschlag gegen Pjöngjang angekündigt, falls man dort Atomraketen gegen Japan aufstelle. Doch dass eine Atomrüstung Nordkoreas auch eine in China gefürchtete Atombewaffnung Japans zur Folge haben könnte wagt in Peking noch niemand offen zu sagen. Es ist jetzt nicht die Zeit für klare Worte: Anfang März steht beim Nationalen Volkskongress die Ernennung des neuen Staatspräsidenten und des neuen Premiers an. Sie sollen den neuen Kurs gegenüber Nordkorea bestimmen. Doch wird auch dann fraglich bleiben, ob sich Peking je zwischen alter Solidarität und neuer Rationalität gegenüber Pjöngjang entscheiden kann. Zu tief sitzen die alten Loyalitäten des Koreakrieges, zu stark sind die neuen Gemeinschaftsinteressen mit den USA, als dass die Chinesen heute schon wüssten, auf welche Seite sie stehen.